Der -Was mich aufregt- Thread

Bin ja in der Forschung und Entwicklung mit angehängter Produktion tätig. Unser Hauptprodukt wird sehr vielseitig verwendet und findet seit geraumer Zeit auch Anwendung in Li-Ion-Akkus.
Ein großer koreanischer Elektronikhersteller, nennen wir ihn "KH" steht seit längerem mit unserem Wirtschaftschemiker in Kontakt und kriegt immer mal wieder Muster von uns. Jetzt wollen sie einen Auftrag verteilen, der ein Viertel unserer Jahresproduktion ausmacht zum vierfachen Kilopreis, den z.B. die Lebensmittelindustrie bezahlt. Ist also wichtig, wie unser Wirtschaftschemiker in keiner einzelnen E-Mail vergisst, zu betonen.

Normalerweise ist es Aufgabe der Analytik und/oder des Qualitätsprüflabors solche Dinge zu erledigen, aber in diesem Fall geht es um einen Parameter der nur für die Akkus relevant ist und wofür keine implementierte Prüfmethode existiert. Wir im Syntheselabor haben jedoch eine, weil wir dort halt nach diesem Parameter das Produkt optimieren.
Anfang November kam dann die Nachricht, dass unser Betrieb 45 Tonnen produzieren wird, die zur Bemusterung an "KH" gehen sollen (nicht die 45 Tonnen, nur ein kleiner Teil davon) und dafür müsste die Analytik von mir oder einer Kollegin durchgeführt werden. Da ich besseres zu tun habe und unser Chef uns für die Betriebsseite zweckentfremden muss, sollte sich eigentlich die Kollegin darum kümmern. Im selben Atemzug kam eine Mail vom Wirtschaftschemiker, dass "KH" ein früheres Muster reklamiert hätte, da der besagte Parameter in ihrer Messung zu stark von unserer Messung abweichen würde und out-of-spec sei.

Ich unsere koreanische Kontaktperson angetickert, sie möge uns die Messmethode zukommen lassen. 2 Wochen später kam eine koreanische Powerpoint von KH, die laienhaft durch google übersetzt den Satz "Weihrauch verwandeln" beinhaltete. Nur zur Einschätzung der Übersetzungsqualität. Meine Kontaktperson benötigte dann nochmal 2 Wochen, um mir ihre eigene Übersetzung zukommen zu lassen, weswegen ich dann sehr spät feststellen musste, dass wir ohne Sonderanfertigungen, die nicht mehr rechtzeitig kommen würden, die Methode nur näherungsweise replizieren können.
Ende November waren dann auch die Betriebsversuche fertig und uns wurden Muster aus 17 Chargen vorbeigebracht. Kollegin bestimmt den besagten Parameter nach unserer alten Methodik, paar in-spec, ein paar knapp out-of-spec, einer 1000% über der Spezifikation. Wäre ja nicht so schlimm, wenn die Chargen alle direkt feinsäuberlich voneinander getrennt worden wären. Aber Herr Wirtschaftschemiker hat den Leuten im Betrieb halt so ca. gar nichts gesagt und die guten haben wie immer alles in einem Silo übereinandergeschichtet. Wird über eine trichterförmige Öffnung am Boden abgelassen - crosscontamination mit der beschissenen Charge also schonmal vorprogrammiert.

Dann haben die Leute im Betrieb diese 17 Chargen so gut es ihnen möglich war getrennt, gemahlen und auf 56 BigBags (a 800kg) aufgeteilt und uns 56 Proben vorbeigeschickt. Kollegin sollte die 56 Proben durchmessen und sich diesmal so gut wie möglich an die "KH"-Methode halten. Ging ziemlich in die Hose. Dann ihre komplette Familie an Corona erkrankt. Bleibt der Scheiß bei mir hängen.

Ich meine Bedenken und Probleme mit der Umsetzung der Methode geschildert und die Ansage bekommen, dass das ja stimmen würde und ich erstmal warten solle - Herr Wirtschaftschemiker kümmert sich drum.
Letzte Woche hieß es dann, ich müsste nur noch 10 Proben durchmessen. Diese müssten aber von unserem Technikum zunächst homogenisiert werden (Technikum ist in terms of scale der Zwischenschritt zwischen unseren Reaktorversuchen im Labor und dem Großbetrieb).
Also wartete ich bis heute auf diese 10 Proben. Heute 2 Stunden vor Feierabend dann einen Anruf vom Wirtschaftschemiker bekommen:
Das Technikum könne die Proben nicht homogenisieren, weil deren Kran nur auf 400kg ausgelegt ist und die BigBags zu schwer seien. Cool, du überbezahlter Spasti, warum benötigt es über eine Woche, um diese Informationen zu kommunizieren?
Ja Herr mcheidibrak, dann messen sie doch mal die 56 Proben bis nächste Woche Freitag durch. Ja, Überstunden, ja wäre geil. Ja, Fels in der Brandung. Ja geil, geil.

Also, darf ich jetzt, als einziger überhaupt noch anwesender bei uns im Labor, kommende Woche 56 Proben durcharbeiten, was auf ca. 4 Überstunden täglich hinauslaufen wird.
Weil, der Scheiß, und das erfahre ich trotz mehrfacher Nachfrage auch erst heute - muss zum 10.01 in Südkorea sein - und das ist schon die aufgeschobene Deadline. Und mit der nächsten Woche ist es noch nicht einmal gegessen.
Die Sachen müssen auch noch auf Basis der Parameter der 56 Proben vom Betrieb homogenisiert werden und dann ab dem 02.01 noch einmal durchgemessen werden.

Der Hurensohn von Wirtschaftschemiker kassiert wohl gerne hohe fünfstellige Boni für weniger lukrative Aufträge. Ich hoffe so sehr, dass das alles in die Hose geht, damit der Boomerotto, der seine Emails in Schriftgröße 18 verfasst, um sie überhaupt selbst lesen zu können, keinen einzigen Cent sehen wird.


Meanwhile treffe ich eine literal weinende Kollegin aus der Nachbarabteilung, die mal wieder von ihrer Chefin durch die Blume als dum abgestempelt wurde für ihre Ideen, gewisse Probleme zu lösen. Ist in der Abteilung so der modus operandi der Laborleiterin. Problem XY liegt an, Laborleiterin wird um Rat gefragt - hat absolut keine Idee. Die Laboranten stellen ein paar Ideen zur Diskussion und werden dafür belächelt. Irgendeine dieser Ideen funktioniert allerdings wunderbar und suddenly wird es in unserer monatlichen Lagebesprechung als Idee der Laborleiterin verkauft.

Ist so ein richtig ekelhafter Akademiker-Circlejerk hier vor Ort. Die leisten alle sicher viel Arbeit nur halt nicht, was die Chemie betrifft. Namentliche und finanzielle Wertschätzung gibt es nur für unsere Beiträge zur Verbesserung der allgemeinen Sicherheit und Arbeitssicherheit am Standort, weil wenn dann doch mal was passiert, könnte es ja ernsthafte Konsequenzen für diese versnobbten Autisten hageln.

Auch nice - da seit Corona einfach gar nichts mehr stattgefunden hat, wurde eine Gruppe ins Leben gerufen, um Feiern und sonstige Dinge zu organisieren und ich wurde darum gebeten, doch daran teilzunehmen. Läuft dann so, dass wir unsere Vorschläge einbringen, einen Kompromiss finden und das nebenbei schonmal mit der sonstigen Belegschaft absprechen, wie es denn so ankommen würde - die Schreibtischtante, die die Leitung dieser Gruppe übernommen hat, und zu 90% eine Affäre mit unserem Oberboss am laufen hat, gibt das dann an selbigen weiter. Dann werden wir wieder zu einer Teams-Sitzung eingeladen, um uns anzuhören, dass er sich dagegen entschieden habe und sich was anderes überlegt hätte. Dann brainstormen wir über Details zu seinem Vorschlag, was dann wieder an ihn weitergeleitet wird und uns dann erneut in abgeänderter Form vorgesetzt wird. Wird jetzt seit 2 Monaten so in regelmäßigen Abständen wiederholt, sodass wir unsere "Weihnachtsfeier" Mitte Januar dann genau nach seinen Vorstellungen durchführen können.
Fun Fact: Leider ist er selbst zu diesem Zeitpunkt verhindert, da er in die USA reisen muss

Ist ja eigentlich eine sehr erträgliche Arbeit, solange man nicht in irgendeiner Form Kontakt zu Leuten hat, die einem irgendetwas zu sagen haben. Die sind nämlich zu 90% entweder geisteskrank, narzisstisch, inkompetent oder kombinieren gleich mehrere dieser Eigenschaften. Und obv. überbezahlt. Lächerlich überbezahlt.

Wir haben hier natürlich auch Ausnahmen, vor allem unter den jüngeren. Sind nur leider diejenigen, die noch eine ganze Weile auf den Leiterposten warten müssen.