roflgrins' Philosophiestübchen

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    • cleav^ schrieb:

      Hey, ich würde gern in die philosophie literatur einsteigen und suche eine kleine starthilfe. mich interessieren dynamiken zwischen wissenschaft-religion-philosophie vorallem im hinblick auf existentielle fragen

      Dein Interessengebiet ist leicht verwirrend, und ich will erklären, warum.
      Nach Hegel fand eine Spaltung der westlichen Philosophie in analytische (größtenteils englisch-amerikanische) und kontinentale (größtenteils deutsch-französische) Philosophie statt, die seither nebeneinander existieren. Diese Spaltung ist nicht so tief, wie manche meinen, dennoch kann man oberflächlich ein paar Unterschiede in Inhalt und Methode des Philosophierens feststellen: Während die analytische Philosophie ihrem Namen folgend versucht, Texte und Argumente logisch präzise zu fassen und zu präsentieren, schreibt die kontinentale Philosophie grundsätzlich freier und ungebundener. Daraus ergibt sich ein eher strenger, trockener und wissenschaftlicher Stil auf der analytischen Seite, sowie eine Vielfalt an Stilrichtungen auf kontinentaler Seite, welche jedoch oftmals schwer verständlich scheinen - zumindest für einen Anfänger - und denen man sich daher viel interpretativer und hermeneutischer nähern muss.


      Die Schwierigkeit der analytischen Philosophie liegt daher in ihrer ermüdend nüchternen Art, die am Textanfang, wenn die Grundlagen gelegt werden, oft täuschend einfach erscheint, dann aber auf einmal richtig hart unintuitiv wird. Viele namhafte analytische Philosophen sind und waren nebenher Mathematiker und Logiker - und das zeigt sich. Dadurch ist die analytische Philosophie aber auch systematischer - und daran, an einer Systematik, scheinst du zuerst interessiert zu sein, wenn du schreibst, dass dir die Dynamiken zwischen Wissenschaft, Religion und Philosophie wichtig sind.

      Die Schwierigkeit der kontinentalen Philosophie befindet sich demgegenüber direkt am Anfang, denn ihre Philosophen benutzen oft nicht nur eine größere Menge fremder Vokabeln, sondern auch eine ungewohnte Grammatik und teilweise sogar - Hegel und Heidegger folgend - gewohnte, altbekannte Wörter in anderer, neuartiger Bedeutung. Das ist alles recht traditionslastig, weswegen man gut beraten ist, wenn man sich zum Verständnis dieser Texte erklärende Sekundärliteratur beschafft, die als Verbindungsglied zwischen Alltags- und Philosophiesprache Interpretationshilfe bietet.

      Gleichwohl bietet die stilistische Ungebundenheit der kontinentalen Philosophie nicht nur manchmal auch einfach zu lesende Philosophen (wie z.B. Marx), sondern außerdem größere Freiheit, was ihr Thema betrifft: Die analytische Philosophie kämpft seit jeher um eine gewisse wissenschaftliche Objektivität, durch die manche Themen schwerer zugänglich sind. Existentielle Fragen gehören zu diesen Themen, denn sie enthalten normative Komponenten. Die analytische Phil. nähert sich existentiellen Fragen nun nicht gar nicht(!), aber sie müht sich Schritt für Schritt ab, sie systematisierend zu fassen, während die kontinentale fröhlich vorausgaloppiert und daher, was existentielle Fragen angeht, befriedigender zu lesen ist - sie erblickt und beschreibt momentan mehr in diesem Bereich, und kommt schneller zu Ergebnissen, wenn auch nicht streng systematisch-objektivierend - denn sie wehrt sich aktiv gegen den Versuch, alles nur aus einem Blickwinkel und mit einer angeblich objektiven Sprache beschreiben zu wollen.


      Daher scheint der zweite Teil deines Interessengebietes - existentielle Fragen - in die eher kontinentale Richtung zu gehen, während der erste Teil, vor allem die Wissenschaftstheorie, von der analytischen Philosophie prominenter behandelt wird.
      Du kannst allerdings keinen Fehler machen: Beide Richtungen behandeln die Zusammenhänge zwischen Wissenschaft, Religion, Philosophie und Lebensfragen ausführlich. Entscheid dich daher am besten aus dem Bauch heraus, womit du anfängst, und hab keine Angst, auch mal in die jeweils andere Richtung einzutauchen, falls dich die eine nicht befriedigt.


      /edit: Wenn du etwas klarer benennst, was genau dich an diesem (doch recht allgemeinen) Thema so fasziniert, kann man dich klarer zu bestimmten Philosophen weisen.

      ----

      Sollte Englisch kein Problem für dich sein, hätt ich hier, als Starthilfe, einen netten kleinen Artikel über Wissenschaft und Religion und darüber, ob sie im Streit oder in Übereinstimmung miteinander liegen. Der Artikel ist peer-reviewed, wie alles auf der SEP, und bietet daher eine größere Sicherheit als Wikipedia, dass er keinen Bullshit enthält. Er soll aber nur eine grobe Übersicht über die wichtigsten Argumente geben, ohne sich einer Meinung anzuschließen. Insofern ist er kein typisch philosophisch-argumentativer Text.
      An der Schreibweise merkt man schnell, dass der Text der analytischen Philosophie angehört (wie die meisten Artikel auf der SEP).

      Hier außerdem noch ein ähnlicher Übersichtsartikel über das (imo sehr interessante) Problem, dass wir Wissenschaft nicht klar von Pseudowissenschaft abgrenzen können - vielleicht weckt das ja auch dein Interesse.

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von la* dowN ()

    • Liste hat ja gar keinen Gabriel inne?

      :smoke:

      Heinrich von Kleist schrieb:

      [...] [D]u hast an mir getan, [...] was in Kräften [...] eines Menschen stand, um mich zu retten: Die Wahrheit ist, daß mich auf Erden nicht zu helfen war.
    • Hatte schon lange drüber nachgedacht das auch mal hier zu posten.

      Ich glaube nicht, dass wir wirklich freien Willen haben, letztendlich sind wir geprägt durch unsere Lebenserfahrung und werden in exakt gleichen Situationen immer exakt gleiche Entscheidungen treffen.

      Wenn ich die Entscheidung habe, was ich trinken möchte und 2 Optionen habe, dann kann ich zwar (theoretisch) frei zwischen beidem wählen, aber in meinem Kopf bewerte ich ja (ggf. unbewusst) beide Optionen nach diversen Kriterien und eine Option (die, die ich letztendlich wähle) "gewinnt" dabei gegen die andere.

      Wenn man mich jetzt klont und beide Ichs in genau der selben Situation mit genau der gleichen Lebenserfahrung sind, dann ist mMn die Entscheidung für ein Getränk genau die selbe, da es ja keine Faktoren gibt, die mich zu einer anderen Entscheidung bringen würden.

      Das selbe gilt natürlich auch für alle anderen Entscheidungen, die man so trifft.
    • Naja gibt ja den Ansatz dass man sagt, dass quasi alles vorherbestimmt ist, aka. jede Handlung ist irgendwie ein Resultat von Gehirnchemie in deinem Kopf zu einem bestimmten Zeitpunkt (quasi simulierbar und vorhersehbar, wenn man einen Rechner hätte, der das Universum emulieren kann). Auf ner weniger abstrakten Ebene könnte man auch sagen, jede Entscheidung ist irgendwie abhängig von dem was man vorher erlebt hat und wie man aufgewachsen ist etc.
      Gibt ja auch mittlerweile schon Hirnscience, die Entscheidungen (bspw. Knöpfe drücken) per Transkranieller Magnetstimulation beeinflussen kann, ohne dass der Proband es merkt. (Bzw der Proband würde danach sagen, die Abfolge von Knöpfen hat er nach freiem Willen betätigt)
      Also irgendwie sind wir ja dann quasi doch Beobachter und die Events werden alle irgendwie passieren.
      Dennoch können wir die Welt noch? (oder vllt nie?) voraussagen (Unschärferelation, nach der man Teilchen eben doch nicht genau voraussagen kann, sondern alles basiert auf Wahrscheinlichkeiten), weswegen Dinge vielleicht doch nicht zu 100% feststehen (prospektiv gesehen). Also gibt es entweder irgendwas, was wir noch nicht entdeckt haben, oder es gibt einfach eine drahtziehende Instanz dahinter (Gott oder wie auch immer man es nennen mag), die wir nie verstehen können.

      Auf der anderen Seite, für practical und spiritual purposes hat man aber irgendwie ja doch nen "freien" Willen.
      Finde wenn man es genau nimmt, sollte man den Satz "unser Wille ist nicht frei" ja nur philisophisch bzw. wertfrei betrachten.
      Zumindest bei mir sind da durchaus eher pessimistische Untertöne mit verknüpft aka. es induziert eine Art "powerlessness" oder Hilflosigkeit.
      Andererseits kann man sehr Wohl sein "Leben in die Hand nehmen" und Dinge ja auch grundlegend verändern etc. Ob das jetzt freier Wille ist oder nicht, bleibt zu klären. Oder man dreht sich im Kreis.

      Daher sage ich: Kann man so und so sehen.
      Letztlich ist die Frage meiner Meinung nach philosophisch-akademischer Natur ohne praktische Konsequenz.
    • Grimm schrieb:

      Hatte schon lange drüber nachgedacht das auch mal hier zu posten.

      Ich glaube nicht, dass wir wirklich freien Willen haben, letztendlich sind wir geprägt durch unsere Lebenserfahrung und werden in exakt gleichen Situationen immer exakt gleiche Entscheidungen treffen.

      Wenn ich die Entscheidung habe, was ich trinken möchte und 2 Optionen habe, dann kann ich zwar (theoretisch) frei zwischen beidem wählen, aber in meinem Kopf bewerte ich ja (ggf. unbewusst) beide Optionen nach diversen Kriterien und eine Option (die, die ich letztendlich wähle) "gewinnt" dabei gegen die andere.

      Wenn man mich jetzt klont und beide Ichs in genau der selben Situation mit genau der gleichen Lebenserfahrung sind, dann ist mMn die Entscheidung für ein Getränk genau die selbe, da es ja keine Faktoren gibt, die mich zu einer anderen Entscheidung bringen würden.

      Das selbe gilt natürlich auch für alle anderen Entscheidungen, die man so trifft.
      Ist korrekt, aber dein Klon wäre über einen längeren Zeitraum einfach auch länger der Varianz des Lebens ausgesetzt, was zu neuen Erfahrungen und neuen Entwicklungen führt.

      Ganz triviales Beispiel: Du und dein Klon bestellt den gleichen Fisch, einer erwischt den mit der Gräte, erstickt beinahe und muss gerettet werden. Diese Erfahrung führt zu komplett neuen Verhaltensweisen im Umgang mit Nahrung (in Zukunft wird alles ordentlich gekaut!). Oder ihr fahrt beide auf der identischen Autobahn und einem von euch platzt wegen Materialfehler der Reifen, dem anderen aber nicht, dadurch hat der eine einen Unfall, der andere nicht und ab dann verhältst du dich auch komplett anders im Straßenverkehr, weil vllt. unterschwellig die Angst immer mitfährt, dass dir sowas nochmal passiert. Oder ihr beide vögelt, aber bei einem hat das Kondom einen Produktionsfehler :D Zack seid ihr in komplett unterschiedlichen Lebenssituationen und nehmt komplett unterschiedliche Entwicklungen. Durch ein "Auslöserereignis" biegt man dann auf nen ganz anderen Lebensweg ab, weil es folgen hat.

      Nur weil man identische Startbedingungen hat, entwickelt man sich nicht zwangsläufig Deckungsgleich, wobei die Wahrscheinlichkeit, dass das Leben ähnlich verlaufen würde und sich auch ähnliche Präferenzen und Handlungsweisen ausprägen recht hoch ist aber eben nicht absolut.

      tl:dr Leben ist heftig RNG.
      Hier sollte irgendwas mit Bierpong stehen :grinking:
    • greystar_ schrieb:

      Zumindest bei mir sind da durchaus eher pessimistische Untertöne mit verknüpft aka. es induziert eine Art "powerlessness" oder Hilflosigkeit.
      was genau stresst dich dabei denn?

      edit: also wenn klar ist dass man eh nichts dran ändern kann bringts ja auch nichts sich drüber gedanken zu machen
    • Apocalypso schrieb:

      Grimm schrieb:

      Hatte schon lange drüber nachgedacht das auch mal hier zu posten.

      Ich glaube nicht, dass wir wirklich freien Willen haben, letztendlich sind wir geprägt durch unsere Lebenserfahrung und werden in exakt gleichen Situationen immer exakt gleiche Entscheidungen treffen.

      Wenn ich die Entscheidung habe, was ich trinken möchte und 2 Optionen habe, dann kann ich zwar (theoretisch) frei zwischen beidem wählen, aber in meinem Kopf bewerte ich ja (ggf. unbewusst) beide Optionen nach diversen Kriterien und eine Option (die, die ich letztendlich wähle) "gewinnt" dabei gegen die andere.

      Wenn man mich jetzt klont und beide Ichs in genau der selben Situation mit genau der gleichen Lebenserfahrung sind, dann ist mMn die Entscheidung für ein Getränk genau die selbe, da es ja keine Faktoren gibt, die mich zu einer anderen Entscheidung bringen würden.

      Das selbe gilt natürlich auch für alle anderen Entscheidungen, die man so trifft.
      Ist korrekt, aber dein Klon wäre über einen längeren Zeitraum einfach auch länger der Varianz des Lebens ausgesetzt, was zu neuen Erfahrungen und neuen Entwicklungen führt.
      Ganz triviales Beispiel: Du und dein Klon bestellt den gleichen Fisch, einer erwischt den mit der Gräte, erstickt beinahe und muss gerettet werden. Diese Erfahrung führt zu komplett neuen Verhaltensweisen im Umgang mit Nahrung (in Zukunft wird alles ordentlich gekaut!). Oder ihr fahrt beide auf der identischen Autobahn und einem von euch platzt wegen Materialfehler der Reifen, dem anderen aber nicht, dadurch hat der eine einen Unfall, der andere nicht und ab dann verhältst du dich auch komplett anders im Straßenverkehr, weil vllt. unterschwellig die Angst immer mitfährt, dass dir sowas nochmal passiert. Oder ihr beide vögelt, aber bei einem hat das Kondom einen Produktionsfehler :D Zack seid ihr in komplett unterschiedlichen Lebenssituationen und nehmt komplett unterschiedliche Entwicklungen. Durch ein "Auslöserereignis" biegt man dann auf nen ganz anderen Lebensweg ab, weil es folgen hat.

      Nur weil man identische Startbedingungen hat, entwickelt man sich nicht zwangsläufig Deckungsgleich, wobei die Wahrscheinlichkeit, dass das Leben ähnlich verlaufen würde und sich auch ähnliche Präferenzen und Handlungsweisen ausprägen recht hoch ist aber eben nicht absolut.

      tl:dr Leben ist heftig RNG.
      es geht darum die selbe person in die selbe person zu setzen. wenn beide ihre gräte verschlucken würden und beide danach einen autounfall haben würden sie sich unterschiedlich entwickeln? wenn ja wieso?
    • Apocalypso schrieb:

      Oder ihr fahrt beide auf der identischen Autobahn und einem von euch platzt wegen Materialfehler der Reifen, dem anderen aber nicht, dadurch hat der eine einen Unfall, der andere nicht und ab dann verhältst du dich auch komplett anders im Straßenverkehr, weil vllt. unterschwellig die Angst immer mitfährt, dass dir sowas nochmal passiert
      Kann aus eigener Erfahrung berichten, dass ich aus Prinzip 200 baller wie vorher. :saint:
      @topic: Determinismus imo schon real. Aber das was @greystar_ sagt, nämlich dass das nicht mit Ohnmacht und grundsätzlich negativem Outcome gleichzusetzen ist.
    • till schrieb:

      was genau stresst dich dabei denn?
      wenn ich grad in nem philosophical mood bin: nichts.

      ich kann mir aber vorstellen, den Fehler zu begehen, das prinzip des unfreien willens fälschlicherweise mal irgendwann ins reallife auf irgendne konkrete situation zu applizieren, vor allem wenn es z.b. irgendwas gibt, was ich echt nicht nice finde. Und um quasi in meiner comfortzone zu bleiben mache ich nix dagegen und schiebe mir als riegel vor "ich kann ja eh nix dran ändern".
      Oder manchmal hat man ja auch Situationen, wo man die bewusste Entscheidung treffen kann, irgendetwas anders zu sehen oder anders zu machen (statt negativ z.b. positiv)

      denke was solche fragen angeht, bin ich einfach sehr praxisorientiert bzw. bewerte dinge danach, wie sehr sie mir was im life bringen.

      Und so sehr unser Wille unfrei sein mag bzw. wir letztendlich nur "Beobachter" sind, ich finde für das Ego ist es sehr gut und empowering, zu sagen, dass man einen freien Willen hat.
    • weiss nicht mehr genau alle details aber für die analogie reichts
      gibt im schönen spiel guild wars eine mission wo man gegen sein spiegelbild kämpfen muss
      1on1 ohne team
      wenn du da mit nem normalen skillbuild hingehst zerstört er dich weil er übertriebene stats hat
      stattdessen skillt man einfach irgendnen trash damit das spiegelbild zeit verschwendet nutzlose spells zu casten
      mission ist dann easy
      ist viel einfacher ein kleines ego davon abzuhalten sich selber abzufucken als ein großes ego