Anlässlich des Weihnachtssales in Steam gibt's heute einen kleinen (XD) Special-Mecial-Blogpost, den ich einem der besten RPGs aller Zeiten widmen will:
Vampire the Masquerade: Bloodlines (2004)
Lasst mich euch eine kleine Geschichte erzählen.
In einer sehr dunklen, chaotischen Zeit, als noch regelmäßig frustrierte Schüler geklaute Schusswaffen auf ihrem Schulgelände getestet haben und die Bundesregierung es auf Counter-Strike schob, in einer Zeit, als der Gamingjournalismus noch lebendig war und sich dank ekelhaft langsamem Netz als relevanteste Nachrichtenquelle behaupten konnte, in einer Zeit, als diese Zeitungen, mit der gesamten Gamerszene im Rücken einen permanenten Kleinkrieg gegen die Zensoren der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien führten, hatte Valve ein Produkt in der Pipeline, das auf Jahre hinaus noch die Shooterentwicklung beeinflussen würde. Half-Life hatte damals neue Standards an die Shooterentwicklung gelegt, indem es eine interessante Story, abwechslungsreiches Gunplay und Jump'n'Run-Elemente miteinander verwoben hatte, und die ganze Welt wartete darauf, zu sehen, wie der Nachfolger aussehen würde.
Es war das Jahr 2004 - ein Jahr, in dem die günstigsten Quellen für Spiele noch der Grabbeltisch im ProMarkt sowie die Heft-DVDs der verschiedenen Spielmagazine waren. Zu dieser Zeit war ich gerade, der ich am Morgengrauen meiner Pubertät war, damit beschäftigt, aus Angst vor der Welt im Allgemeinen und Mädchen im Speziellen, auf die nächsten Jahre die Rollläden zuzuziehen und mich in meiner Gaminghöhle häuslich einzurichten, bis das Chaos endlich vorbei war. Es war eine frühe goldene Zeit für Computerspieler: Klassiker wie Morrowind und Gothic 2 waren schon draußen, am Horizont warteten Half-Life 2 und STALKER, und World of Warcraft schickte sich an, Tausende von Chinesen auf die digitale Reisfarm zu verfrachten.
Doch während einige dieser Titel auf prachtvoll geschmückten Rössern direkt in die Annalen der Spielegeschichte ritten, gab es andere, die eine Weile brauchten, weil ihre Studios kein Geld für krasse Pferde hatten und nur noch die alten Maultiere übrig waren - ihr wisst schon, die Viecher, auf die selbst der Stalljunge keinen Bock mehr hat, weil sie mehr scheißen, als er wegmachen kann -, und die neben dem Rest natürlich deutlich verhärmter und kurz gesagt beschissener aussahen. Aber nichtsdestotrotz haben sich diese Spiele ihren Platz im Herzen der Spieler erobert, und eines dieser Spiele ist Vampire the Masquerade: Bloodlines.
Zur Entwicklungsgeschichte des Spiels gibt es lediglich nur einen Ausdruck, für den es leider keine deutsche Entsprechung gibt: Clusterfuck. Wer jemals eine Bestätigung brauchte - NOCH eine -, dass Publisher der Spielehitler sind, darf sich getrost den Zustand angucken, in dem Troika Games unser heißgeliebtes Vampire: Bloodlines rausbringen mussten.
Es war verbuggt.
Sounds waren teilweise im Arsch.
Charaktere blieben ständig an unsichtbaren Hindernissen hängen.
NPCs blieben aus Prinzip in genau den Türen stehen, durch die man gehen wollte.
Schlecht optimiert, tonnenweise vermeidbare Loadscreens.
Tonnenweise Content, der nicht rechtzeitig fertiggestellt werden konnte, musste geschnitten werden.
Und doch, und doch schaffte es diese technische Katastrophe, einen Kult hinter sich zu versammeln, der sie heute noch - über 13 Jahre nach ihrem Erscheinen - feiert, als wäre sie die Wiederkunft Christi. Aber warum? Dieser Frage werde ich in diesem Post auf den Grund gehen. Es gibt mannigfaltige Gründe dafür, und ich werde versuchen, sie so tief aufzudröseln, wie meine Motivation es zulässt. Aber hey, es ist fast Weihnachten und da ich mir keinen Stress zu machen gedenke, kann ich auch gleich einfach einen fetten Post hierhin klatschen.
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Also, was ist Vampire: Bloodlines überhaupt, und wie spielt sich der Shit?
Denkbar simpel. Man spielt einen frisch erschaffenen Vampir aus Ego- oder Verfolgerperspektive, bedient sich eines Arsenals aus Spezialfähigkeiten sowie verschiedener Nah- und Fernkampfwaffen, und zockelt durch verschiedenste Level, während man dabei verschiedene menschliche und übernatürliche Gegner erledigt, und zwischendurch mit Menschen und Vampiren redet und/oder ihre Quests erfüllt. Die Fortbewegung geschieht ausschließlich zu Fuß; mit dem Taxi (oder über die Kanäle, falls man als Nosferatu spielt) kann man sich zwischen den vier Hubs und den verschiedenen Nebenschauplätzen fortbewegen.
Schauplatz des Spiels ist das Los Angeles des 21. Jahrhunderts. Den Großteil bewegt man sich in vier Stadtvierteln von LA: Santa Monica, Downtown, Hollywood und Chinatown, wobei es hin und wieder eine Quest gibt, die man abseits der Hubs erledigen muss. Die Quests sind vielfältig und einzigartig; selbst simple Fetchquests sind so gestaltet, dass man sie auf mehrere Arten lösen kann. Ein traditionelles Levelsystem existiert nicht. Vampire: Bloodlines ist in der Pen'n'Paper-Vorlage World of Darkness verwurzelt, und daher gibt es keine Level, sondern man erhält fürs erfolgreiche Lösen von Quests XP, die direkt in Skills, Humanity oder Spells (im Spiel "Disziplinen" genannt) investiert werden.
Wait, what? Humanity? Disziplinen? Wasch isch da los? Hier zeichnet sich schon ab, warum Vampire: Bloodlines besonders ist. Klar, wo Spells sind, gibt es in der Regel auch irgendwo das, was in Fantasy-RPGs üblicherweise Mana heißt - im Fall von Vampire: Bloodlines aber ist es Blut. Und beschafft wird es auf zwei Arten: Indem man Blutkonserven trinkt (ganz unspektakulär im Inventar auswählen und aktivieren), oder einen der zahlreichen namenlosen NPCs aussaugt, die in den verschiedenen Hubs herumrennen. Es gibt noch zwei zusätzliche Skalen, die das Spiel besitzt - Maskeradepunkte und Humanity - und ab hier muss ich ein bisschen auf die Hintergrundlore eingehen.
Kein Vampir, mit dem man spricht, hält damit hinterm Berg, dass ein Vampir ein untotes Monster ist, das sich deutlich von Menschen unterscheidet. Unter anderem hat der Vampir einen Trieb, der Beast genannt wird: die tierhafte Komponente, die mit komplettem Kontrollverlust und unzähmbarem Blutdurst einhergeht, sobald der Vampir sich zu weit von seinen menschlichen Ursprüngen entfernt. Wie nahe man diesem Beast ist, wird durch die Humanitypunkte quantifiziert. Benimmt man sich barmherzig und rücksichtsvoll, kann man Punkte dazugewinnen, fängt man an, Unschuldige umzubringen oder unnötig grausam zu sein - selbst in Dialogen! -, sinkt dieser Punktestand. Das nimmt Einfluss auf die Dialogoptionen und die Wahrscheinlichkeit, durch Blutdurst oder das Einstecken von Treffern in Raserei zu verfallen, ein Zustand, der im Spiel so funktioniert: Der Bildschirm wird rot unterlegt, und man muss tatenlos dabei zusehen, wie der Spielcharakter sich durch alles metzelt, was ihn angreift - oder zum nächstbesten Menschen rennt und ihn vollständig trockensaugt.
Wie man handelt wirkt sich aber nicht nur auf diese Weise aufs Gameplay aus - gibt ja noch die Maskeradepunkte. Vampire wissen zwar, dass sie mächtig sind, verstehen aber auch, dass sie ihre Existenz unter allen Umständen geheim halten müssen, damit die Menschen nicht auf die Idee kommen, sie auszurotten. Dieses Gesetz nennt sich Maskerade und verbietet es Vampiren, Menschen gegenüber ihre paranormale Natur zu offenbaren. Tut man es trotzdem - indem man vor aller Augen jemanden aussaugt oder eine Disziplin benutzt der eindeutig übernatürlich ist - verliert man einen Maskeradepunkt. Man startet mit 5, ist man bei 0 angelangt, ist das Spiel verloren, es gibt eine kurze Zwischensequenz, in der man von der Vampirgesellschaft exekutiert wird und man muss von neuem anfangen.
"Schön und gut", mag der geneigte Leser sagen, während er Kartoffelchips knuspert und seine fettigen Finger zornig über die klebrige Tastatur huschen, "hört sich aber alles nicht so ungewöhnlich an! Gibt's denn wenigstens Charakterklassen?"
Ja und nein: Es gibt Clans. Die verschiedenen Vampirklassen bilden Gemeinschaften, die sich Clans nennen und bei denen die "Mitgliedschaft" dadurch definiert wird, welchem Clan der Vampir angehörte, der einen verwandelt hat. Diese unterscheiden sich in Gestalt und Playstyle deutlich : Nosferatu sind hässlich und entstellt und auf den ersten Blick als Vampire zu erkennen, weshalb sie sich niemals Menschen zeigen dürfen (es ist die einzige Klasse, mit der man Maskeradepunkte verliert, wenn man zu nahe an Menschen rankommt). Ventrue sind geborene Politiker, die Probleme lieber mit ihrer Dominate-Disziplin oder schlichtem Dialog lösen, und Brujah kümmern sich nicht groß um Rhetorik - Schellen und Gunshots sind ihr bevorzugtes Problemlösungsmittel. Jeder Clan hat ein Alleinstellungsmerkmal oder eine besondere Disziplin, die kein anderer hat:
- Brujah verfallen leichter in Raserei als alle anderen.
- Gangrel können sich als einzige in eine Bestie verwandeln.
- Malkavianer sind unheilbar wahnsinnig.
- Nosferatu sind entstellt und hässlich, bekommen aber mehr Blut von Ratten.
- Toreador sind die "menschlichsten" aller Vampire: alle Humanity-Veränderungen wiegen doppelt.
- Tremere können als einzige Blutmagie benutzen.
- Ventrue können Dominate in Dialogen benutzen; außerdem gewinnen sie durchs Aussaugen von Nutten oder Pennern deutlich weniger Blut.
In die Ausdifferenzierung der einzelnen Clans ist viel Arbeit geflossen und besonders bei Nosferatu und Malkavianern merkt man deutlich, dass der Playstyle ein ganz anderer ist. Clans, die als besonders umgänglich oder diplomatisch gelten starten mit mehr Skillpunkten in Dialogfähigkeiten und besitzen defensive, unauffällige Disziplinen, während die Kämpferclans besser in Kampfskills aufgestellt sind und passende Disziplinen haben - was den Spieler aber in keiner Weise daran hindert, dem Wesen seines Clans entgegenzuhandeln.
__________________
Wenn deine Kartoffelchips nun alle sind, geneigter Leser, magst du dir jetzt vielleicht schon folgende Frage gestellt haben:
"Toll und alles, aber was macht das Spiel so besonders, dass es noch dreizehn Jahre später Höschen zum Tropfen und Boxer zum Platzen bringt?" - worauf ich ein paar einfache Antworten habe, die ich kompliziert begründen muss:
1. Es ist ein Rollenspiel, das diesen Titel tatsächlich verdient.
Charaktere sind keine Automaten, wo man oben eine Dialog"option" einwirft und unten eine Quest rauskommt. Viele Rollenspiele zeichnen sich dadurch aus, dass der einzige Charakter, der bedeutungsvoll handelt, der Spieler selbst ist, aber nicht so Vampire: Bloodlines - es zeichnet sich dadurch aus, dass der Spieler in die Machenschaften größerer und wichtigerer Akteure geworfen wird, und es einzig an ihm liegt, zu entscheiden, was sein Platz in der ganzen Geschichte ist. Jeder Charakter ist einzigartig und erinnerungswürdig, alles ist eine moralische Grauzone, niemand macht den Eindruck, nur zu existieren, weil die Entwickler ein Tool brauchten, um den Spieler zu beschäftigen.
Die Story ist gut geschrieben - kommt zwar etwas langsam in Gang, aber selbst das hat eine Erklärung.
2. Die Immersion ist unschlagbar mächtig.
Hat man sich ein Mal auf die Welt einlassen können, in die Vampire: Bloodlines einen entführt, ist es völlig unmöglich, noch etwas anderes wahrzunehmen. Auf die einfachsten Fragen, die andere Spiele sich nichtmal die Mühe machen, überhaupt zu bedenken, hat Vampire: Bloodlines eine Antwort. Allein schon, dass Menschen auszusaugen - ein definierendes Element jeder Vampirmythologie - ein hochwichtiges Gameplayelement ist, zeigt schon, wieviel Energie in die Gestaltung der Atmosphäre geflossen ist. Wenn das Spiel einem etwas sagt, findet dies einen Ausdruck im Gameplay. Das Beast ist echt und du musst aufpassen, dass du dich möglichst menschlich verhältst? - Es gibt eine Humanity-Skala, und wenn du nach unten rutschst, wird die Raserei immer wahrscheinlicher und deine Dialogoptionen im Ton viel unmenschlicher, grausamer, und Quests ändern sich. Die Vampirwelt bestraft es, wenn du deine Übermenschenskills einfach überall rumzeigst? - Es gibt Maskeradenpunkte, und wenn du welche verlierst, wirst du langsam von Vampirjägern gejagt und falls du es übertreibst, wirst du exekutiert. Nosferatu sind hässlich und offensichtlich Vampire? - Um Menschen herumlaufen kann dich Maskeradenpunkte kosten. Malkavians sind alle unheilbar wahnsinnig, aber haben eine Art Hellsicht? - Alle Dialoge sind wacky af, und manchmal sind in gekünstelten Metaphern versteckt tatsächliche Gameplayspoiler, die man nicht versteht, bis man den Gegenstand des Spoilers gesehen hat.
Gameplay, Setting und Story wurden in Vampire: Bloodlines auf eine Art vereint, wie es seitdem niemals wieder gelungen ist.
3. Die Atmosphäre ist grandios.
Es spricht für Troika, dass sie aus einer modifizierten Beta der Source Engine so viel herausgeholt haben, dass die verzweifelte und grausame Welt im paranormalen Los Angeles sich auf jedem Quadratzentimeter auch genau so anfühlt: Verzweifelt und grausam. Art Design ist klasse, und selbst die angestaubte Grafik ist kein Hindernis dafür, dass Vampire: Bloodlines niemals das Gefühl erweckt, dass irgendwas am falschen Platz sitzt.
Was die Sounds angeht: Jeder Song sitzt richtig, die lizenzierten Tracks passen alle und die VA's haben einen grandiosen Job gemacht. Mir fällt kein Charakter ein, der schlecht vertont worden wäre.
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Es bleibt schlussendlich nur eins zu sagen: Es ist ein Jammer, dass Troika Vampire: Bloodlines nicht angemessen fertig stellen konnten. Aber zum Glück gibt's Fanpatches - und falls ihr vor habt, mal einen Blick auf Vampire: Bloodlines zu werfen, dann holt es euch im Weihnachtssale für 10€ und klatscht den letzten Fanpatch drauf.
Uneingeschränkte Empfehlung meinerseits geht raus.
Vampire the Masquerade: Bloodlines (2004)
Lasst mich euch eine kleine Geschichte erzählen.
In einer sehr dunklen, chaotischen Zeit, als noch regelmäßig frustrierte Schüler geklaute Schusswaffen auf ihrem Schulgelände getestet haben und die Bundesregierung es auf Counter-Strike schob, in einer Zeit, als der Gamingjournalismus noch lebendig war und sich dank ekelhaft langsamem Netz als relevanteste Nachrichtenquelle behaupten konnte, in einer Zeit, als diese Zeitungen, mit der gesamten Gamerszene im Rücken einen permanenten Kleinkrieg gegen die Zensoren der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien führten, hatte Valve ein Produkt in der Pipeline, das auf Jahre hinaus noch die Shooterentwicklung beeinflussen würde. Half-Life hatte damals neue Standards an die Shooterentwicklung gelegt, indem es eine interessante Story, abwechslungsreiches Gunplay und Jump'n'Run-Elemente miteinander verwoben hatte, und die ganze Welt wartete darauf, zu sehen, wie der Nachfolger aussehen würde.
Es war das Jahr 2004 - ein Jahr, in dem die günstigsten Quellen für Spiele noch der Grabbeltisch im ProMarkt sowie die Heft-DVDs der verschiedenen Spielmagazine waren. Zu dieser Zeit war ich gerade, der ich am Morgengrauen meiner Pubertät war, damit beschäftigt, aus Angst vor der Welt im Allgemeinen und Mädchen im Speziellen, auf die nächsten Jahre die Rollläden zuzuziehen und mich in meiner Gaminghöhle häuslich einzurichten, bis das Chaos endlich vorbei war. Es war eine frühe goldene Zeit für Computerspieler: Klassiker wie Morrowind und Gothic 2 waren schon draußen, am Horizont warteten Half-Life 2 und STALKER, und World of Warcraft schickte sich an, Tausende von Chinesen auf die digitale Reisfarm zu verfrachten.
Doch während einige dieser Titel auf prachtvoll geschmückten Rössern direkt in die Annalen der Spielegeschichte ritten, gab es andere, die eine Weile brauchten, weil ihre Studios kein Geld für krasse Pferde hatten und nur noch die alten Maultiere übrig waren - ihr wisst schon, die Viecher, auf die selbst der Stalljunge keinen Bock mehr hat, weil sie mehr scheißen, als er wegmachen kann -, und die neben dem Rest natürlich deutlich verhärmter und kurz gesagt beschissener aussahen. Aber nichtsdestotrotz haben sich diese Spiele ihren Platz im Herzen der Spieler erobert, und eines dieser Spiele ist Vampire the Masquerade: Bloodlines.
Zur Entwicklungsgeschichte des Spiels gibt es lediglich nur einen Ausdruck, für den es leider keine deutsche Entsprechung gibt: Clusterfuck. Wer jemals eine Bestätigung brauchte - NOCH eine -, dass Publisher der Spielehitler sind, darf sich getrost den Zustand angucken, in dem Troika Games unser heißgeliebtes Vampire: Bloodlines rausbringen mussten.
Es war verbuggt.
Sounds waren teilweise im Arsch.
Charaktere blieben ständig an unsichtbaren Hindernissen hängen.
NPCs blieben aus Prinzip in genau den Türen stehen, durch die man gehen wollte.
Schlecht optimiert, tonnenweise vermeidbare Loadscreens.
Tonnenweise Content, der nicht rechtzeitig fertiggestellt werden konnte, musste geschnitten werden.
Und doch, und doch schaffte es diese technische Katastrophe, einen Kult hinter sich zu versammeln, der sie heute noch - über 13 Jahre nach ihrem Erscheinen - feiert, als wäre sie die Wiederkunft Christi. Aber warum? Dieser Frage werde ich in diesem Post auf den Grund gehen. Es gibt mannigfaltige Gründe dafür, und ich werde versuchen, sie so tief aufzudröseln, wie meine Motivation es zulässt. Aber hey, es ist fast Weihnachten und da ich mir keinen Stress zu machen gedenke, kann ich auch gleich einfach einen fetten Post hierhin klatschen.
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Also, was ist Vampire: Bloodlines überhaupt, und wie spielt sich der Shit?
Denkbar simpel. Man spielt einen frisch erschaffenen Vampir aus Ego- oder Verfolgerperspektive, bedient sich eines Arsenals aus Spezialfähigkeiten sowie verschiedener Nah- und Fernkampfwaffen, und zockelt durch verschiedenste Level, während man dabei verschiedene menschliche und übernatürliche Gegner erledigt, und zwischendurch mit Menschen und Vampiren redet und/oder ihre Quests erfüllt. Die Fortbewegung geschieht ausschließlich zu Fuß; mit dem Taxi (oder über die Kanäle, falls man als Nosferatu spielt) kann man sich zwischen den vier Hubs und den verschiedenen Nebenschauplätzen fortbewegen.
Schauplatz des Spiels ist das Los Angeles des 21. Jahrhunderts. Den Großteil bewegt man sich in vier Stadtvierteln von LA: Santa Monica, Downtown, Hollywood und Chinatown, wobei es hin und wieder eine Quest gibt, die man abseits der Hubs erledigen muss. Die Quests sind vielfältig und einzigartig; selbst simple Fetchquests sind so gestaltet, dass man sie auf mehrere Arten lösen kann. Ein traditionelles Levelsystem existiert nicht. Vampire: Bloodlines ist in der Pen'n'Paper-Vorlage World of Darkness verwurzelt, und daher gibt es keine Level, sondern man erhält fürs erfolgreiche Lösen von Quests XP, die direkt in Skills, Humanity oder Spells (im Spiel "Disziplinen" genannt) investiert werden.
Wait, what? Humanity? Disziplinen? Wasch isch da los? Hier zeichnet sich schon ab, warum Vampire: Bloodlines besonders ist. Klar, wo Spells sind, gibt es in der Regel auch irgendwo das, was in Fantasy-RPGs üblicherweise Mana heißt - im Fall von Vampire: Bloodlines aber ist es Blut. Und beschafft wird es auf zwei Arten: Indem man Blutkonserven trinkt (ganz unspektakulär im Inventar auswählen und aktivieren), oder einen der zahlreichen namenlosen NPCs aussaugt, die in den verschiedenen Hubs herumrennen. Es gibt noch zwei zusätzliche Skalen, die das Spiel besitzt - Maskeradepunkte und Humanity - und ab hier muss ich ein bisschen auf die Hintergrundlore eingehen.
Kein Vampir, mit dem man spricht, hält damit hinterm Berg, dass ein Vampir ein untotes Monster ist, das sich deutlich von Menschen unterscheidet. Unter anderem hat der Vampir einen Trieb, der Beast genannt wird: die tierhafte Komponente, die mit komplettem Kontrollverlust und unzähmbarem Blutdurst einhergeht, sobald der Vampir sich zu weit von seinen menschlichen Ursprüngen entfernt. Wie nahe man diesem Beast ist, wird durch die Humanitypunkte quantifiziert. Benimmt man sich barmherzig und rücksichtsvoll, kann man Punkte dazugewinnen, fängt man an, Unschuldige umzubringen oder unnötig grausam zu sein - selbst in Dialogen! -, sinkt dieser Punktestand. Das nimmt Einfluss auf die Dialogoptionen und die Wahrscheinlichkeit, durch Blutdurst oder das Einstecken von Treffern in Raserei zu verfallen, ein Zustand, der im Spiel so funktioniert: Der Bildschirm wird rot unterlegt, und man muss tatenlos dabei zusehen, wie der Spielcharakter sich durch alles metzelt, was ihn angreift - oder zum nächstbesten Menschen rennt und ihn vollständig trockensaugt.
Wie man handelt wirkt sich aber nicht nur auf diese Weise aufs Gameplay aus - gibt ja noch die Maskeradepunkte. Vampire wissen zwar, dass sie mächtig sind, verstehen aber auch, dass sie ihre Existenz unter allen Umständen geheim halten müssen, damit die Menschen nicht auf die Idee kommen, sie auszurotten. Dieses Gesetz nennt sich Maskerade und verbietet es Vampiren, Menschen gegenüber ihre paranormale Natur zu offenbaren. Tut man es trotzdem - indem man vor aller Augen jemanden aussaugt oder eine Disziplin benutzt der eindeutig übernatürlich ist - verliert man einen Maskeradepunkt. Man startet mit 5, ist man bei 0 angelangt, ist das Spiel verloren, es gibt eine kurze Zwischensequenz, in der man von der Vampirgesellschaft exekutiert wird und man muss von neuem anfangen.
"Schön und gut", mag der geneigte Leser sagen, während er Kartoffelchips knuspert und seine fettigen Finger zornig über die klebrige Tastatur huschen, "hört sich aber alles nicht so ungewöhnlich an! Gibt's denn wenigstens Charakterklassen?"
Ja und nein: Es gibt Clans. Die verschiedenen Vampirklassen bilden Gemeinschaften, die sich Clans nennen und bei denen die "Mitgliedschaft" dadurch definiert wird, welchem Clan der Vampir angehörte, der einen verwandelt hat. Diese unterscheiden sich in Gestalt und Playstyle deutlich : Nosferatu sind hässlich und entstellt und auf den ersten Blick als Vampire zu erkennen, weshalb sie sich niemals Menschen zeigen dürfen (es ist die einzige Klasse, mit der man Maskeradepunkte verliert, wenn man zu nahe an Menschen rankommt). Ventrue sind geborene Politiker, die Probleme lieber mit ihrer Dominate-Disziplin oder schlichtem Dialog lösen, und Brujah kümmern sich nicht groß um Rhetorik - Schellen und Gunshots sind ihr bevorzugtes Problemlösungsmittel. Jeder Clan hat ein Alleinstellungsmerkmal oder eine besondere Disziplin, die kein anderer hat:
- Brujah verfallen leichter in Raserei als alle anderen.
- Gangrel können sich als einzige in eine Bestie verwandeln.
- Malkavianer sind unheilbar wahnsinnig.
- Nosferatu sind entstellt und hässlich, bekommen aber mehr Blut von Ratten.
- Toreador sind die "menschlichsten" aller Vampire: alle Humanity-Veränderungen wiegen doppelt.
- Tremere können als einzige Blutmagie benutzen.
- Ventrue können Dominate in Dialogen benutzen; außerdem gewinnen sie durchs Aussaugen von Nutten oder Pennern deutlich weniger Blut.
In die Ausdifferenzierung der einzelnen Clans ist viel Arbeit geflossen und besonders bei Nosferatu und Malkavianern merkt man deutlich, dass der Playstyle ein ganz anderer ist. Clans, die als besonders umgänglich oder diplomatisch gelten starten mit mehr Skillpunkten in Dialogfähigkeiten und besitzen defensive, unauffällige Disziplinen, während die Kämpferclans besser in Kampfskills aufgestellt sind und passende Disziplinen haben - was den Spieler aber in keiner Weise daran hindert, dem Wesen seines Clans entgegenzuhandeln.
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Wenn deine Kartoffelchips nun alle sind, geneigter Leser, magst du dir jetzt vielleicht schon folgende Frage gestellt haben:
"Toll und alles, aber was macht das Spiel so besonders, dass es noch dreizehn Jahre später Höschen zum Tropfen und Boxer zum Platzen bringt?" - worauf ich ein paar einfache Antworten habe, die ich kompliziert begründen muss:
1. Es ist ein Rollenspiel, das diesen Titel tatsächlich verdient.
Charaktere sind keine Automaten, wo man oben eine Dialog"option" einwirft und unten eine Quest rauskommt. Viele Rollenspiele zeichnen sich dadurch aus, dass der einzige Charakter, der bedeutungsvoll handelt, der Spieler selbst ist, aber nicht so Vampire: Bloodlines - es zeichnet sich dadurch aus, dass der Spieler in die Machenschaften größerer und wichtigerer Akteure geworfen wird, und es einzig an ihm liegt, zu entscheiden, was sein Platz in der ganzen Geschichte ist. Jeder Charakter ist einzigartig und erinnerungswürdig, alles ist eine moralische Grauzone, niemand macht den Eindruck, nur zu existieren, weil die Entwickler ein Tool brauchten, um den Spieler zu beschäftigen.
Die Story ist gut geschrieben - kommt zwar etwas langsam in Gang, aber selbst das hat eine Erklärung.
2. Die Immersion ist unschlagbar mächtig.
Hat man sich ein Mal auf die Welt einlassen können, in die Vampire: Bloodlines einen entführt, ist es völlig unmöglich, noch etwas anderes wahrzunehmen. Auf die einfachsten Fragen, die andere Spiele sich nichtmal die Mühe machen, überhaupt zu bedenken, hat Vampire: Bloodlines eine Antwort. Allein schon, dass Menschen auszusaugen - ein definierendes Element jeder Vampirmythologie - ein hochwichtiges Gameplayelement ist, zeigt schon, wieviel Energie in die Gestaltung der Atmosphäre geflossen ist. Wenn das Spiel einem etwas sagt, findet dies einen Ausdruck im Gameplay. Das Beast ist echt und du musst aufpassen, dass du dich möglichst menschlich verhältst? - Es gibt eine Humanity-Skala, und wenn du nach unten rutschst, wird die Raserei immer wahrscheinlicher und deine Dialogoptionen im Ton viel unmenschlicher, grausamer, und Quests ändern sich. Die Vampirwelt bestraft es, wenn du deine Übermenschenskills einfach überall rumzeigst? - Es gibt Maskeradenpunkte, und wenn du welche verlierst, wirst du langsam von Vampirjägern gejagt und falls du es übertreibst, wirst du exekutiert. Nosferatu sind hässlich und offensichtlich Vampire? - Um Menschen herumlaufen kann dich Maskeradenpunkte kosten. Malkavians sind alle unheilbar wahnsinnig, aber haben eine Art Hellsicht? - Alle Dialoge sind wacky af, und manchmal sind in gekünstelten Metaphern versteckt tatsächliche Gameplayspoiler, die man nicht versteht, bis man den Gegenstand des Spoilers gesehen hat.
Gameplay, Setting und Story wurden in Vampire: Bloodlines auf eine Art vereint, wie es seitdem niemals wieder gelungen ist.
3. Die Atmosphäre ist grandios.
Es spricht für Troika, dass sie aus einer modifizierten Beta der Source Engine so viel herausgeholt haben, dass die verzweifelte und grausame Welt im paranormalen Los Angeles sich auf jedem Quadratzentimeter auch genau so anfühlt: Verzweifelt und grausam. Art Design ist klasse, und selbst die angestaubte Grafik ist kein Hindernis dafür, dass Vampire: Bloodlines niemals das Gefühl erweckt, dass irgendwas am falschen Platz sitzt.
Was die Sounds angeht: Jeder Song sitzt richtig, die lizenzierten Tracks passen alle und die VA's haben einen grandiosen Job gemacht. Mir fällt kein Charakter ein, der schlecht vertont worden wäre.
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Ne marche pas devant moi, je ne te suivrai peut-être pas.
Ne marche pas derrière moi, je ne te guiderai peut-être pas.
Marche à côté de moi et sois simplement mon amie. - Albert Camus
Sundry's Gameblog! NEUER POST: Hunt: Showdown
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