DSDE Lesezirkel IX - Auslöschung. Ein Zerfall (Thomas Bernhard)

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    • DSDE Lesezirkel IX - Auslöschung. Ein Zerfall (Thomas Bernhard)

      So, Kameraden. @twoplay ist heiß und ich habe gerade mein aktuelles Buch gefinished, also bringe ich das hier einfach mal in Gange.

      Thomas Bernhard wird nun schon seit Jahren hier von @elephantTalk angepriesen und twoplay ist auch schon seit einer Weile mit im Boot. Ich hatte eigentlich nie so wirklich Bock drauf weil ich ein ziemlich fauler Boi bin, aber als ich dann neulich das besagte Buch einfach so in meinem alten Bücherregal zu Hause bei Mama erblickt habe, ohne dass ich es früher jemals bewusst wahrgenommen hatte, schien mir das dann doch Zeichen genug zu sein.

      Da es bestimmt nicht der flotteste Read wird (ist sein letzter und gleichzeitig längster Roman), setze ich mal den Zeitraum bis zum 30. April an. Bis dahin sollte auch der letzte Dostojewski-Nachzügler die Chance gehabt haben, sich noch anzuschließen.

      Ich hoffe natürlich auf den einen oder anderen der üblichen Verdächtigen sowie auf den eifrigen @dota23 streamer. Viel Vergnügen!
    • bin grob 200 seiten in und hab mir schonmal ein zwischenfazit überlegt. enthält nicht wirklich inhaltliche spoiler, aber doch eine vorgefertigte meinug, also eher skippen, wenn man ganz unvoreingenommen sein will.
      geschrieben von einem bernhard fan natürlich auch mit einem körnchen salz zu nehmen:

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      Habe nun etwas über 200 Seiten gelesen und will, ohne zu viel vorwegzunehmen oder konkret den Inhalt anzusprechen, das Werk für den mit Bernhard wenig bis nicht Vertrauten etwas in Kontext setzen versuchen, so wie es bzw. er, der Kontext, sich mir bis jetzt darstellt.
      Zu anfangs war ich durchaus ob der Andersheit leicht verwundert und unsicher, wie Bernhard sich in solch großangelegtem Format ausnehmen würde, mit einem zu seinen anderen Werken im Vergleich beinahe überladen Erzählrahmen. Schließlich hat es mich aber doch mit einer Intensität eingesogen, dass ich geneigt bin zu sagen, die Auslöschung ist wahrscheinlich die Kulmination, wie gleichzeitige Union seines gesamten vorherigen Schaffens, ein Querschnitt, wie gleichzeitige Zusammenfassung des gesamten Bernhard'schen Denkens. Sind seine anderen Romane geprägt von einer fast krankhaft grotesken Eindimensionalität, wird hier jeder ihrer Aspekte nochmals aufgegriffen und derart zusammengefügt, eine Vieldimensionalität aufzuspannen, in der seine Weltanschauung, die Bernhard'sche Philosophie als Ganzes, zur Räumlichkeit wird, plastisch greifbar. Denn die Auslöschung ist, so weit ich sagen kann, sein philosophischtes Werk, in dem er mit allegrößter Schärfe die Ideale mit den unlöslich diesen verbundenen Feindbildern kontrastiert, dabei didaktisch vielleicht ähnlich einem Zarathustra vorgehend. Unter seinem Blick springem einem im sonst so verwaschenen Menschenbild Grenzen als Abgrenzungen schmerzlich übergenau ins Auge.
      Denn außerdem ist die Auslöschung, neben unvermeidbaren Teilen seiner Memoiren, Bernhards einzige auch als politisch zu bezeichnende Prosa. Endlich hat er sich getraut, was er immer wollte, den Österreichern mit absoluter Schnonungslosigkeit ihre politisch-geschichtliche Ignoranz und ihr Schauspiel von Unschuldsbekenntnissen aufzeigen, wie er es zeitlebens wahrgenommen hat, wie es auf ihn gewirkt hat. Dazu kann man natürlich stehen wie man will, wohl aber sollte man den zeit-geschichtlichen Kontext betrachten und es weniger als juristisch geführte Anklage, als eher eine Diagnose einer Geisteserkrankung lesen, die Bernhard immer wieder beschäftigt hat. Ob man damit als Nicht-Österreicher auch etwas anfangen kann, weiß ich nicht.

      Will nun aber nicht zu überschwänglich loben, womöglich muss ich meine Meinung am Ende ja auch noch revidieren, und füge vielleicht nur noch an, dass das Buch auch ein sehr lustiges ist und ich tatsächlich schon mehrere Male laut auflachen musste beim lesen. Ohne Komik wäre es schließlich ja auch nichts.
      Bin jedenfalls gespannt, wie sich das über die letzten beiden Drittel noch hinziehen wird.

    • Los geht's, hab schon ganz kurz reingelesen und bin positiv überrascht. Lieblingswort der ersten Seiten ist eindeutig “Weinstöpselfabrikant“. Ich setz mir mal ein Ziel von zwei Wochen.

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    • Ich bin jetzt bei etwas mehr als der Hälfte des Buches angelangt und dachte, ich fülle den doch noch sehr leeren Thread mit etwas Inhalt.

      Zunächst erstmal einer meiner Lieblingstextstellen:


      Thomas Bernhard schrieb:

      Ich bin schon zu lange Zeit in Rom, überhaupt im Ausland, ich bin ein Ausländer geworden, es ist mir unerträglich, auch nur eine Stunde ohne Widerwillen in Wolfsegg zu sein. Ich könne mir nicht vorstellen, jemals wieder auf längere Zeit in Wolfsegg zu sein. Ich habe keine Beziehung mehr zu Wolfsegg. Ich verabscheue alles, das mit Wolfsegg zusammenhängt. Die Geschichte von Wolfsegg belastet mich in einer vernichtenden Weise, der ich mich nicht mehr aussetzen werde. Und jetzt muß ich augenblicklich nach Wolfsegg zurück. Unter welchen Umständen!, sagte ich mir. Es sind noch keine vier Stunden her, daß ich zu Gambetti gesagt habe, am liebsten würde ich nie mehr nach Wolfsegg fahren. Es ist mir unmöglich geworden. Alles ist Lüge dort, Gambetti, habe ich gesagt, eine unerträgliche Künstlichkeit herrscht dort, die Sie sich nicht vorstellen können, Gambetti. Diese Menschen sind für alles taub, das mir so viel bedeutet, für Natur, Kunst, für alles Wesentliche. Sie lesen keine Bücher, sie hören keine Musik, sie reden den ganzen Tag nur das Überflüssigste, das Banalste. Es ist mit ihnen nicht die geringste nützliche Unterhaltung möglich, nur die deprimierendste. Sage ich etwas, verstehen sie nicht, was ich sage. Ich erkläre ihnen etwas und sie starren mich völlig teilnahmslos an. Sie haben nicht den geringsten Geschmack. Wenn ich von Rom spreche, das doch ein Mittelpunkt der Welt ist, sagte ich zu Gambetti, langweilt es sie. Wenn ich von Paris spreche, wenn ich über Literatur spreche, über Malerei. Ich kann keinen mir wichtigen Namen erwähnen, ohne fürchten zu müssen, daß sie ihn noch nie gehört haben. Alles ist dort lähmend und in einer Weise selbst im Sommer kalt, daß es mich andauernd friert. Sie wissen nicht, daß diese Leute nichts als nur das Allerprimitivste im Kopf haben. Geld, Jagd, Gambetti, Gemüse, Getreide, Kartoffeln, Holz, Kohle, sonst nichts. [...]
      Besser kann ich mein Verhältnis zu Brandenburg nicht beschreiben. Jedesmal wenn ich wiederkehre fühle ich eine Gelähmtheit, ich kann mich oft nicht so geben wie ich eigentlich bin, aber das ist dort auch gar nicht erwünscht. Ich akzeptiere es und warte die Zeit ab.
      (S. 108 ff.)

      Thomas Bernhard schrieb:

      So habe ich mir auch einmal Goethe ruiniert, hatte ich zu Gambetti gesagt, nur durch die unglückselige Dummheit, Weimar aufzusuchen[...]
      Witzige Formulierung.
      (S. 158, unten)

      Thomas Bernhard schrieb:

      Ich hatte in Gambetti immer einen aufmerksamen Zuhörer, der mich das, was ich zu sagen versuchte, mit Geduld entwicklen ließ, niemals störte, wir werden ja meistens schon in den Anfängen unserer Erzählungen und Berichte gesört, aufgehalten, wenigstens gehemmt, nicht mit Gambetti, der zum Zuhören erzogen worden ist von seinen Eltern, von seiner in allem und jedem behutsamen Familie.
      Angenehme Eigenschaft.
      (S. 164)


      Thomas Bernhard schrieb:

      Schon das Wort Orangerie hat mich immer fasziniert, hatte ich zu Gambetti gesagt, es war das Lieblingswort meiner Lieblingswörter. Die Orangerie war so an den steil zum Ort abfallenden Felsen gebaut, daß die milde Sonne darüber immer die allen Pflanzen günstigste gewesen ist, die früheren Bauherren, hatte ich zu Gambetti gesagt, waren klug, klüger als die heutigen. Und das Verblüffende ist, daß sie nicht, wie heute, so lange, ja Jahre, an einem einzigen Bau gebaut haben, sondern nur kurze Zeit, ein Schloß für Jahrhunderte, hatte ich zu Gambetti gesagt, bauten sie mit allen Vorzügen, ja Raffinessen, in ein paar Monaten fix und fertig. Für eine plumpe und pervers unbrauchbare, häßliche Scheußlichkeit werden heute viele Jahre vergeudet und man fragt sich, wieso, hatte ich zu Gambetti gesagt. Jeder einzelne hatte damals Geschmack und jeder einzelne arbeitete zum Vergnügen. Das sieht man ja an den alten Bauwerken, die so restlos gelungen sind wie kein einziges heutiges. Jedes Detail an den alten Bauwerken ist mit Liebe gestaltet, hatte ich zu Gambetti gesagt, mit der größten Behutsamkeit, mit einem Kunstverstand und mit dem größten Geschmack auch in den sogenannten Nebensächlichkeiten. Die Orangerie ist nicht nur an die ideale Stelle, sondern auch mit dem größten Geschmack gebaut, hatte ich zu Gambetti geagt, ein Kunstwerk, das sich mit den herrlichsten derartigen Schöpfungen Norditaliens und in der Toscana ohne weiteres messen lassen kann. Ein jeder Bauemeister ist ein kleiner Palladio gewesen, hatte ich zu Gambetti gesagt. Unsere heutige Baukunst ist verkommen, sie ist nicht nur geschmacklos, sondern auch zum Großteil unbrauchbar, sie ist in hohem und in höchstem Maße menschenfeindlich, während die frühere kunstvoll und menschenfreundlich gewesen ist.
      Leicht geschrieben, schwebend
      (S. 166 unten, ff.)


      Der Traum um Seite 225 rum war auch sehr interessant, müsste ich nochmal genauer nachlesen um ihn besser zu deuten, aber die Essenz (für mich) habe ich denke ich verstanden.


      Thomas Bernhard schrieb:

      Wenn wir uns nur an die Menschen mit hohem Charakter halten, veröden wir ja in der kürzesten Zeit, habe ich zu Gambetti gesagt, im Gegenteil, haben wir immer mit den sogenannten Charakterlosen umzugehen, damit wir es aushalten, damit wir geistig nicht verkommen. Die Leute mit dem sogenannten guten Charakter sind die, die uns mit der Zeit nurmehr anöden und umbringen, wir müssen uns vor allem vor ihrer Gesellschaft hüten, habe ich zu Gambetti gesagt.
      Einer der vielen faszinierenden Gedankengänge Bernhards.
      Schön ist auch oft die Abgrenzung der Gedanken, z.B. wenn er über seine Mutter redet und sie ihm am Sonntag doch herzlich erscheint und sich ihm mütterlich zuneigt, diese Sortierung der Aussagen nach "gut" und "schlecht" erlaubt es ihm oft, ohne Einschränkung zu schreiben, da die Relativierung an einer anderen Stelle erfolgt und die jeweiligen Parts deutlich an Schärfe und Präzision gewinnen.

      Der Part ab S. 255 hat mich nicht abgeholt, als einziger bis jetzt, das tut dem Buch aber keinen Abriss.
      Ein sehr angenehmer Lesegenuss.
    • Dass er des Lügens bezichtigt wurde und sein Bruder nie bzw. dass ihm die Schuld zugeschoben wurde für alles was passiert.
      Auszug:

      Thomas Bernhard schrieb:

      Hatte ich beispielsweise Geld, das mir aus irgendeinem Grund anvertraut war, verloren, so glaubten sie mir nicht, daß ich es verloren habe, so sehr ich das auch beteuerte, sie dachten vielmehr, ich machte nur vor, das Geld verloren zu haben und bereicherte mich mit dem Geld, während sie meinem Bruder sofort glaubten, er habe das Geld verloren. Er habe sich im Wald verirrt, hatte er beispielsweise zu ihnen gesagt und sie hatten ihm augenblicklich geglaubt, hatte ich dasselbe gesagt, glaubten sie mir nicht, unter keinen Umständen, ich hatte mich immer lange und intensiv zu rechtfertigen gehabt.
      Das waren mir glaube ich einfach zuviele Beispiele und wurde dadurch für mich etwas weinerlich, allerdings war ich wahrscheinlich einfach unkonzentriert und/oder müde.
    • Ich bin jetzt seit ner Weile ähnlich weit wie twoplay aber komme aktuell nicht mehr wirklich voran.

      Zunächst mal war ich positiv überrascht, dass es tatsächlich nicht besonders anstrengend zu lesen ist. Klar, zumindest die erste Hälfte des Buches ist ein einziger nie endender Monolog ohne einen einzelnen Absatz, aber es lässt sich trotzdem flüssig lesen und ist nicht super verschachtelt geschrieben.

      Aber inhaltlich... vielleicht kommt ja irgendwann noch ein Twist. Aber bisher ist das alles vom Grundgedanken her ein wenig so wie der Steppenwolf vielleicht verlaufen wäre ohne Traktat, ohne magisches Theater und ohne Hermine, sondern einfach nur mit den Gedankengängen von Harry Haller in Bezug auf die verkommene Gesellschaft. Oder wie wenn @twoplay über seine Familie redet. Oder wie ein Audio88 Song. Oder wie ein Rant eines 4chan Users über Stacy und Chad.

      Ja, es ist sehr unterhaltsam geschrieben, aber von der Thematik her holt es mich null ab weshalb das alleine nicht wirklich reicht, um für mich besonders attraktiv zu lesen zu sein. Ich weiß noch nicht ob ich rechtzeitig fertig werde da ich eigentlich auch mal ein bisschen lernen müsste, aber vielleicht wird's ja noch was. Auf jeden Fall bin ich bisher doch eher ein wenig verwundert darüber dass @elephantTalk so begeistert von Bernhard ist.
    • @roflgrins
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      Werde mein Review dann wohl etwas allgemeiner halten und die literarische Leistung Bernhards an sich genauer ausführen, auch wenn das mir, als einem der schon ausgiebig seine Bücher gelesen hat, schon fast wie ein alter Hut vorkommt. Bin momentan leider etwas gestresst und kann daher nicht sagen ob ich das noch vor Ende April hinbekomme.
      Um dir das weiterlesen jedoch etwas schmackhafter zu machen, will ich kurz umreißen was für mich sein Werk auszeichnet:
      An allererster Stelle ist Bernhard ein Prosastylist, der mit seinem Schaffen tatsächlich eine völlig neuartige Form von Literatur gefunden hat. Was mich bei seinen Büchern immer wieder fasziniert ist, wie er es schafft einen mit doppelt (teils auch mehrfach) geschachtelter indirekte Rede so unmittelbar in die Köpfe seiner Protagonisten zu stecken und dabei Gedankenprozesse darstellt, die ich so klar und greifbar noch nirgends gelesen habe. Zudem ist seine sprachliche Ästhetik absolut einmalig in der deutschsprachigen Literaturgeschichte: seine Satzstrukturen, seine Wortneuschöpfungen, seine subtile Präzision in den eigenwilligsten Metaphern, die maßlose Übertreibung, die das Grundprinzip seines Denkens überhaupt ausmacht (wie er es in diesem Buch auch selbst kurz beschreibt). Durch Bernhard habe ich erst erkannt, was die wirkliche Schönheit der deutschen Sprache ausmacht; nämlich ihre Hässlichkeit, das Klobige, Sperrige, Hölzerne, was Bernhard erkannt und immer wieder auf die Spitze getrieben hat. Zu erwähnen wäre auch noch die Musikalität, die sich in der übergeordneten Struktur seiner Bücher zeigt, aber das würde an dieser Stelle zu weit führen. Wenn dir sein Schreibtstil also bloß als unterhaltsam und flüssig erscheint, ist diese stilisierte Art der Literatur vielleicht einfach nicht deine Tasse Tee.
      Um auf den Inhalt zu sprechen zu kommen, muss ich zuallererst sagen, dass bei Bernhard Form und Inhalt gar nicht so ohne weiteres zu trennen sind, da gerade er ein Meister darin ist, das, was gesagt wird, erst dadurch verständlich zu machen, wie es gesagt wird. Beispielhaft dafür wäre wiederum die Übertreibung als Stilmittel einerseits wie Überlebensmechanismus andererseits. Trotzdem versuche ich kurz auf deine gesonderte inhaltliche Kritik einzugehen: Beim Vergleich mit dem Steppenwolf vergisst du, dass du in der Auslöschung nicht die momentanen Gedanken des Protagonisten liest, sondern einen nachträglichen Bericht, wo er sich die damaligen inneren Vorgänge zum Zeitpunkt der Niederschrift nochmals klarmacht und ordnet. Sein Protagonist ist nicht gescheitert und an seiner Existenz zu Grunde gegangen, sondern hat es geschafft sich von seiner Vergangenheit zu lösen und dem beklemmenden Kerker seiner Heimat zu entkommen. Was im Steppenwolf das Traktat, das magische Theater und Hermine sind, ist in der Auslöschung eben diese Niederschrift bzw. die darin beschriebenen Gedanken. Bernhard beschreibt, wie sich der denkende Mensch (als das eine dargestellte abstrakte Idealbild) sich in seiner Existenz gegenüber dem stumpfsinnigen (als das andere, dem ersten gegenübergestellten, Idealbild) behaupten kann, wie man überleben kann, auch wenn alles gegen dieses Überleben gerichtet ist. Wenn der Protagonist über die "verkommene Gesellschaft" wettert, wie du es genannt hast, dann nicht, um zu jammern oder tatsächliche Kritik zu üben, sondern um im rücksichtslos unverblümten Aussprechen die unerträgliche Allgegenwärtigkeit hrer Feindseligkeit seinem Wesen gegenüber zusammen mit allen an jene verschwendeten Gedanken schlichtweg auszulöschen (kleiner Wink zum Titel). Es ist mir keine Überraschung, dass du dich mit ihm, dem Protagonisten, kaum bis gar nicht identifizieren kannst, da er, in krassem Gegensatz zu dem von dir eingeschlagenen Weg über Meditation zur Gleichgültigkeit (überspitzt gesagt natürlich), einen Weg der Existenzbewältigung in der schonungslosen Konfrontation darlegt; jede Widerwärtigkeit beim Namen nennen, nichts verschönern und das wichtigste dabei: zu jeder Zeit die schärfste Kritik an sich selbst legen und niemals stehen bleiben, um letzlich weiterzukommen als Mensch.
      Es gäbe noch vieles zu sagen, aber erstmal belasse ich es dabei und hoffe, dass dieser flüchtige Einblick aus meiner Sicht deine Lesefreude womöglich wieder etwas anzuheben vermag. Zusammen mit dem ersten Post hätte ich ja auch schon beinahe ein Review beisammen, also mal sehen ob ich mich dann nochmals aufraffen kann. Auf jeden Fall viel Spaß beim Weiterlesen an alle, die noch daran sind!

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von elephantTalk ()

    • elephantTalk schrieb:

      Wenn dir sein Schreibtstil also bloß als unterhaltsam und flüssig erscheint, ist diese stilisierte Art der Literatur vielleicht einfach nicht deine Tasse Tee.
      Das ist auf jeden Fall ein großer Faktor. Ich kann generell häufig mit künstlerischem Können um der Kunst willen nicht allzu viel anfangen, wenn der dadurch transportierte Inhalt mich nicht besonders anspricht. Sei es in der Literatur, in der Musik, in Filmen oder in der Malerei.

      Aber vielen Dank für deine Ausführungen, ich werde jetzt mal ein wenig weiterlesen.
    • Okay, muss beichten, dass ich noch nicht durch bin und jetzt einen Bulk über Ostern gelesen habe (bei ca 60-70%).
      Werde versuchen den Rest noch zu finishen, ggf meine Gedanken später adden.

      /ende Statusupdate
    • Bin durch.

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      Nachdem ich die ersten ~300 Seiten über mehrere Wochen verteilt in immer nur kurzen Etappen gelesen hatte, hab ich den Rest jetzt in den letzten Tagen in wenigen zusammenhängenden Sessions durchgelesen. Dadurch hat sich meine Meinung über den Schreibstil doch ziemlich gewandelt. Während ich ihn bis dahin noch unterhaltsam fand, wurde er gegen Ende für mich dann doch naturgemäß eher der fürchterlichste, hatte ich auf dem Pincio zu Gambetti gesagt, dachte ich jetzt. Vor allem die wiederholten kursiv gedruckten Ausdrücke haben sich aber gefühlt auch in der zweiten Hälfte noch mehr angehäuft. Und das sprunghafte Assoziieren zwischen verschiedensten Thematiken fühlte sich im Monolog aus Teil 1 auch deutlich organischer an. Klar, man erfährt dadurch am eigenen Leibe wie unerträglich das Murau'sche Dasein gewesen sein muss, aber nervig ist es auf Dauer dennoch wenn permanent ohne Vorwarnung zwischen Handlungen und Gedanken hin und her gesprungen wird. Allerdings muss ich trotz alledem zugeben, dass ich mich manchmal doch schwer von dem Buch trennen konnte. War so ein bisschen eine Hassliebe, so wie wenn man beim Schach (oder PC) spielen getiltet und metti ist, aber trotzdem nicht aufhören kann.

      Aber gut, kommen wir nun zum Inhalt. Auch hier war ich wiederum vom zweiten Teil noch weniger angetan als vom ersten. Nicht endende mentale Schimpftiraden sind mir ja schon nicht gerade sympathisch, aber wenn man sich dann auch noch im tatsächlichen Kontakt mit den zuvor mental beschimpften Menschen permanent wie ein Arsch verhält, macht das alles Vorangegangene nur noch schlimmer. Und die ganze Idee der Auslöschung erscheint mir komplett absurd. Wenn ein Mensch über Jahrzehnte jeden Tag an all die fürchterlichen Leute denkt, die über die Jahre sein Leben bestimmt haben und an die fürchterlichen gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit und das anscheinend darüberhinaus auch noch zu seinem Lieblingsgesprächsthema macht, wie soll man dann daran glauben, dass eine solche Niederschrift wie diese Auslöschung das ganze beenden können oder auch nur irgendwas Vorteilhaftes für Murau bewirken sollte? Ich könnte mich damit ja gerne zufrieden geben wenn Murau diese Gedanken erst nach Erhalt des Telegramms zum ersten Mal richtig verfolgt hätte und ihm dabei alles Mögliche aufgegangen wäre, das ihm vorher nicht bewusst war. In dem Falle wäre es sicherlich ein guter therapeutischer Ansatz gewesen, all das aufzuschreiben. Aber so macht es für mich lediglich den Anschein von erneuter mentaler Masturbation während er sich weiterhin als Mensch im Kreis dreht, bzw. drehen würde wenn er nicht direkt danach gestorben wäre. Daran ändern auch weder die Selbstkritik in seinen Gedanken noch seine Übertreibungskunst besonders viel.

      Also zusammenfassend fehlt es mir an jeglichem Glauben daran, dass eine solche Auslöschung auch nur annähernd das bewirken kann, was @elephantTalk in seinem letzten Post versucht hat zu erklären. Wir wissen auch nicht ob das tatsächlich Bernhards Idee war, denn wir wissen ja nicht wie es Murau nach der Fertigstellung ging. Aber sollte das tatsächlich so von Bernhard angedacht sein worden, würde ich gerne Bullshit callen. Wenn das Denken sowie das Niederschreiben des Gedachten alleine einen Ausweg aus der Steppenwölfigkeit ermöglichen würden, dann gäbe es nicht so viele Steppenwölfe. Und falls Bernhard das doch nicht implizieren wollte, dann kehre ich zurück zu meinem Zwischenfazit von vor 10 Tagen.