Vorsicht, ich habe diesen Text gegendert. Bitte seht darüber hinweg, falls das ein Problem für euch ist.
Die Debatte über Geflüchtete ist sehr präsent in den Medien, im Gesprächen im Alltag vieler Menschen und wird vielerorts mit niedrigem/einseitigem Wissensstand geführt. Auch hier im Forum werden oft (provozierende) Zeilen gedroppt oder abfällig über die Thematik und Menschen gepostet. Ohne die einzelnen Threads derailen zu müssen, würde ich gerne eine argumenthaltige Diskussion dazu anstoßen, in der beide Seiten ihre Sorgen, Erfahrungen und Standpunkte mitteilen (und gegebenenfalls überdenken) können. Da das Thema in Zukunft jede_n von uns betreffen wird, durch das Stadtbild, durch Bekanntenkreise, wirtschaftliche Belastungen, ehrenamtliches Engagement und politische Debatten, ist diese Diskussion meines Erachtens sehr angebracht. Den Anfang werde ich selber machen, in der Hoffnung dass wir nicht "Rechtspopulismus gegen Gutmenschentum" diskutieren werden.
1. Warum flüchten Menschen nach Europa (Deutschland)?
Aus verschiedensten Gründen. Ich versuche, eine Zusammenfassung geben zu können, ohne unnötig zu stereotypisieren.
Am meisten geredet wird über Wirtschaftsmigrant_innen. Dass es diese gibt, steht außer Frage, und die Meinung zu diesen ist je nach Sozialisation unsererseits sehr unterschiedlich. Um in diese Kategorie zu fallen, sollten diese Personen meiner Meinung nach:
-keiner anderen Form der Diskriminierung ausgesetzt sein
-ergo ein bescheidenes, nicht bedrohtes, menschenwürdiges Leben in ihrem Heimatland führen können
Wie viele Menschen tatsächlich in diese Kategorie fallen, werde ich später versuchen zu betrachten. Historische Beispiele wären etwa Personen, die während der 70er/80er Jahre kamen, vor allem aus Polen, Italien, Balkan.
Eine weitere Gruppe sind Menschen, die vor einer Verfolgung fliehen, die ihnen ein freies Leben nicht ermöglicht. Darunter fallen politische Flüchtlinge, die beispielsweise wegen ihrer Meinungsäußerung verfolgt werden (etwa die Familie von Raif Badawi oder Maikel Nabil, um zwei prominente Fälle zu nennen). Auch Edward Snowden oder Julien Assange fallen in diese Kategorie. Wer aber die Berichterstattung über die Zustände in den USA verfolgt, weiß welches Problem es gibt, wenn eine ethnische Gruppe die Verwaltung, Politik und Exekutive dominiert. Das gilt auch für viele Staaten in Osteuropa, etwa die Bosniaken in Serbien und Teilen Albaniens bzw. Albaner_innen in Südserbien. Diese Menschen fallen teilweise auch in den nächsten Abschnitt:
Menschen, die aufgrund ihrer Abstammung, Religion, Sexualität oder ihres Geschlechts verfolgt werden und deshalb Asyl suchen. Homosexuelle Menschen sind in Afrika durchaus in Lebensgefahr, in der arabischen und afrikanischen Welt gibt es massive Vertreibungen, Unterdrückungen, Tötungen und Vergewaltigungen zwischen verschiedenen Glaubensgruppen. Schiiten, Sunniten, Christen liefern sich gegenseitig Scharmützel, ohne dass einer Gruppe die alleinige Schuld gegeben werden kann. Um es zu verallgemeinern: Die schlimmste ist oft die gerade stärkste. Radikale christliche Gruppen (remember Kohny?) sind in Afrika nicht weniger schlimm als etwa Boko Haram. Frauen werden dort oft als Beute behandelt und als Sex- und Arbeitskraft gesehen.
Dies betrifft auch Konflikte, die keine (rein) religiöse Grundlage haben. Exemplarisch zu nennen wäre der Konflikt (Völkermord) in Ruanda.
Aber auch in Europa gibt es massive Probleme. Insbesondere die Verfolgung der Sinti und Roma in Serbien, Bosnien, Albanien (...). Jeder kennt die Vorurteile über diese Bevölkerungsgruppe, und von rechts wird gern die Mär vom fahrenden und stehlenden Volk genährt. Tatsächlich sind diese Menschen massiver Verfolgung ausgesetzt, egal wo sie hinkommen, besonders aber dort wo sie herkommen.
Und natürlich gibt es Menschen, die einfach vor Krieg und Terrorismus flüchten. Davon gibt es von Afghanistan, Irak, Pakistan, Palästina, Jemen, Lybien, und Sudan bis Chad oder Nigeria, aber auch in der Ukraine und in Syrien mehr als genug.
Zahlen dazu gibt es, aber nicht alle sind belastbar. Viele Geflüchtete werden nie erfasst, für die europäischen Ströme ist das halbwegs zuverlässig. Es ist aber an diesen verschiedenen Zahlen der klare Trend erkennbar: die meisten flüchten nicht, weil sie unsere Arbeitsplätze wegnehmen wollen, sondern aus Angst. Das bringt mich zum nächsten Thema:
Ist die Flucht dieser Menschen (hierher) legitim?
Auch diese Antwort ist unglaublich komplex. Wer sich mal die Zeit nimmt und mit Geflüchteten redet, wird von jeder Person andere Intentionen erfahren. Einige Gründe stehen oben, andere werde ich ausführen und hier (noch?) weniger objektiv schreiben.
Geht von der Prämisse aus, dass Menschen, die als Geflüchtete_r hier landen, zum Zeitpunkt ihrer Geburt und in den Jahren danach ein für ihre Verhältnisse normales Leben haben:
-halbwegs gesichertes Einkommen (genug für Unterkunft und Nahrung)
-Zugang zu Wasser
-soziale Kontakte, Freunde, Familie
-sehr unterschiedliche Bildung
Diese Punkte sind je nach Herkunft sehr unterschiedlich. Die Personen, mit denen ich geredet habe, hatten aber immer in ihrer Geschichte diesen einen Wendepunkt, der das kaputtgemacht hat. Ausbruch eines Konflikts, Vergewaltigung, Entdeckung der Homosexualität (und die in den beiden letzten Fällen damit verbundene soziale Ächtung/Vertreibung), Beschneidung, Politisierung.
Diese Erfahrungen sind in einem Maße traumatisch, dass es nicht möglich war, in dieser Gegend zu bleiben. Hier kommt auch der Punkt Bildung ins Spiel:
Eine Freundin von mir arbeitet als Betreuerin für 2 Geflüchtete, ein Mädchen (12) und ein Junge/Mann (21), er aus Syrien, sie aus Tschetschenien. Sie redet mit den beiden, hilft im Alltag, versucht ihnen die Kultur zu erklären. Sie war mit dem Mädchen im Kino und es kam im Film das Thema altes Ägypten auf. Das Mädchen hatte noch nie von diesem Land gehört, geschweige denn eine Ahnung, wie die Kultur damals war. Ihre Familie ist vor religiöser Verfolgung geflohen.
Mit dem Mann dreht sich die Thematik sehr viel darum, dass er erzogen wurde, immer stark zu sein, hier aber viel Angst hat. Er weiß nicht, was er tun kann, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden und ist in einem Land, dessen Kultur er nicht kennt, dessen Sprache ihm noch immer schwerfällt. Er stammt aus Homs, seine Familie ist vor der Zerstörung geflohen. Sie haben kürzlich über die Stadt und die Moschee gesprochen, er wollte ihr Bilder davon zeigen und sie habens gegooglet und nur Ruinenbilder gefunden. Ich gehe jetzt auf die emotionale Ebene:
Mir gibt die Tatsache, immer, in jeder Situation, die Option zu haben in meinem behüteten Nest in der Nähe von Krefeld wieder auf die Beine zu kommen, einen großen Halt.
Sind das jetzt emotionale Einzelfälle, die ich raussuche, um meinen Punkt bestätigt zu finden? Mitnichten.
Warum sollten wir diese Menschen aufnehmen?
Einerseits natürlich das moralische Argument: die Menschlichkeit gebietet es. Punkt.
Aber auch: Selbst "arme" Menschen in Deutschland müssen (vorausgesetzt, dass sie den bürokratischen Aufwand bewältigen) nicht hungern, aus jedem Wasserhahn kommt Trinkwasser, jeder Mensch hat Zugang zu Bildung und wir alle haben die Möglichkeit, uns einen gewissen Wohlstand aufzubauen, wenn das das jeweilige Ziel ist. Uns geht es wirtschaftlich so gut wie (fast) nie, wir haben viel Platz. Deutschlands Bevölkerung sinkt, die Urbanisierung nimmt zu, die Landwirtschaft. Außer (anerzogenem) Eigeninteresse, diesen Wohlstand für uns zu behalten, haben wir wenige Argumente.
Außerdem:
Dieses Zitat führt mich zum nächsten Thema:
Wie wollen wir mit Geflüchteten umgehen?
Die derzeitige Situation führt dazu, dass Gründe für Vorurteile befördert werden.
Der bürokratische Aufwand durch komplexe Gesetzeslage, die Unterbesetzung der Ämter erhöhen die Schwierigkeit, hier eine Arbeitserlaubnis (oder eine Aufenthaltserlaubnis oder gar Bleiberecht!) zu erhalten. Dazu kommen teilweise rassistische Problematiken in den Ämtern. In Leipzig wurde Asylsuchenden etwa das Recht verweigert, Personen als Dolmetscher_in mitzubringen. Gleichzeitig wurde aber auch eine Gesprächsführung auf englisch abgelehnt. Auch das ist kein Einzelfall, mit etwas Zeit und Suchmaschine kann man da einiges zu finden. Diese Gespräche führen auch dazu, dass diesen Menschen keine Deutschkurse besuchen können, aber diese Gespräche auf deutsch führen sollen.
Diese bürokratischen Hürden könnten einen eigenen Thread füllen, etwa dass man eine Arbeit braucht um einen Aufenthaltserlaubnis zu kriegen und eine Aufenthaltserlaubnis, damit man arbeiten darf. Auf Nachfrage kann ich hier gerne noch nachlegen.
Ein erstes Jahr wird also oft damit gefüllt, dass (unter Umständen/häufig) traumatisierte Menschen versuchen, in einem Land eine Position zu finden. Als Ausgangspunkt dafür dienen überfüllte Unterkünfte, teilweise in Turnhallen oder schlimmerem, die fehlende Möglichkeit die Sprache lernen zu dürfen, das Verbot, sich seinen Standort aussuchen zu dürfen (Königsteiner Schlüssel, eingeschränkte Mobilität), ein Arbeitsverbot, keine Anerkennung von Abschlüssen, drohende Abschiebung, sehr mangelhafte Betreuung, anfangs nicht einmal eigenes Geld sondern Essensmarken und Ablehnung durch die Bevölkerung.
Wer Menschen vorwirft, sich nicht integrieren zu wollen, sollte diese Punkte bitte mit beachten.
Wie sollte es sein?
Meine eigentlich radikaleren Positionen behalte ich für mich. Aber moderate Forderungen, die ich für essentiell halte:
-Bessere Betreuungen für alle - mindestens eine Sozialarbeiterstelle auf 100 Geflüchtete, FSJ-/BFD-Stellen mit Schulungen und Betreuung ermöglichen.
-Sensibiliserung auf Ämtern für die Thematik, Dolmetscher_innen als Festangestellte (bisher Pflicht für Geflüchtete jemand mitzubringen, ohne die Sprache zu können und ohne Geld)
-Schnellere Vergabe von Aufenthaltserlaubnis und Arbeitserlaubnis
-bessere Anerkennung von Abschlüssen, meinetwegen auch mit Prüfungen (Sprachbarriere!)
-Möglichkeiten, den Standort zu wechseln, wenn Begründung vorliegt (Familie in einem anderen Ort beispielsweise)
-Keine Ausweisung in "sichere" Herkunftsländer. Diese Regelung ist eine Farce.
-Gute Sprachkurse, die man ohne bürokratische Schwelle besuchen kann. Im Wedding gibt es stattdessen eine ehrenamtliche AG Sprache (in der ich auch aktiv bin)
Was kann ich tun?
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass politische Forderungen das eine sind. Andererseits muss man auch vorleben, was man fordert. Überall gibt es engagierte Menschen, die daran arbeiten, die Situation für diese Menschen zu verbessern. Dabei kann jede_r nach den eigenen Talenten mithelfen. Sprachkurse, Begleitungen zu Ämtern, dolmetschen, gemeinsam Sport machen oder einfach nur im Café treffen und sprechen. Den Menschen vermitteln, dass sie eben doch (bei einigen) willkommen sind, die Sprache üben, Spenden verwalten, Nachhilfe geben, Kultur- und Berührungsängste abbauen.
Viele Themen habe ich hier nicht eingebaut, da sie den Rahmen komplett sprengen würden, etwa die Situation im Mittelmeer. Wenn die Thematik auf Interesse stößt, schreibe ich da gerne etwas zu.
Die Debatte über Geflüchtete ist sehr präsent in den Medien, im Gesprächen im Alltag vieler Menschen und wird vielerorts mit niedrigem/einseitigem Wissensstand geführt. Auch hier im Forum werden oft (provozierende) Zeilen gedroppt oder abfällig über die Thematik und Menschen gepostet. Ohne die einzelnen Threads derailen zu müssen, würde ich gerne eine argumenthaltige Diskussion dazu anstoßen, in der beide Seiten ihre Sorgen, Erfahrungen und Standpunkte mitteilen (und gegebenenfalls überdenken) können. Da das Thema in Zukunft jede_n von uns betreffen wird, durch das Stadtbild, durch Bekanntenkreise, wirtschaftliche Belastungen, ehrenamtliches Engagement und politische Debatten, ist diese Diskussion meines Erachtens sehr angebracht. Den Anfang werde ich selber machen, in der Hoffnung dass wir nicht "Rechtspopulismus gegen Gutmenschentum" diskutieren werden.
1. Warum flüchten Menschen nach Europa (Deutschland)?
Aus verschiedensten Gründen. Ich versuche, eine Zusammenfassung geben zu können, ohne unnötig zu stereotypisieren.
Am meisten geredet wird über Wirtschaftsmigrant_innen. Dass es diese gibt, steht außer Frage, und die Meinung zu diesen ist je nach Sozialisation unsererseits sehr unterschiedlich. Um in diese Kategorie zu fallen, sollten diese Personen meiner Meinung nach:
-keiner anderen Form der Diskriminierung ausgesetzt sein
-ergo ein bescheidenes, nicht bedrohtes, menschenwürdiges Leben in ihrem Heimatland führen können
Wie viele Menschen tatsächlich in diese Kategorie fallen, werde ich später versuchen zu betrachten. Historische Beispiele wären etwa Personen, die während der 70er/80er Jahre kamen, vor allem aus Polen, Italien, Balkan.
Eine weitere Gruppe sind Menschen, die vor einer Verfolgung fliehen, die ihnen ein freies Leben nicht ermöglicht. Darunter fallen politische Flüchtlinge, die beispielsweise wegen ihrer Meinungsäußerung verfolgt werden (etwa die Familie von Raif Badawi oder Maikel Nabil, um zwei prominente Fälle zu nennen). Auch Edward Snowden oder Julien Assange fallen in diese Kategorie. Wer aber die Berichterstattung über die Zustände in den USA verfolgt, weiß welches Problem es gibt, wenn eine ethnische Gruppe die Verwaltung, Politik und Exekutive dominiert. Das gilt auch für viele Staaten in Osteuropa, etwa die Bosniaken in Serbien und Teilen Albaniens bzw. Albaner_innen in Südserbien. Diese Menschen fallen teilweise auch in den nächsten Abschnitt:
Menschen, die aufgrund ihrer Abstammung, Religion, Sexualität oder ihres Geschlechts verfolgt werden und deshalb Asyl suchen. Homosexuelle Menschen sind in Afrika durchaus in Lebensgefahr, in der arabischen und afrikanischen Welt gibt es massive Vertreibungen, Unterdrückungen, Tötungen und Vergewaltigungen zwischen verschiedenen Glaubensgruppen. Schiiten, Sunniten, Christen liefern sich gegenseitig Scharmützel, ohne dass einer Gruppe die alleinige Schuld gegeben werden kann. Um es zu verallgemeinern: Die schlimmste ist oft die gerade stärkste. Radikale christliche Gruppen (remember Kohny?) sind in Afrika nicht weniger schlimm als etwa Boko Haram. Frauen werden dort oft als Beute behandelt und als Sex- und Arbeitskraft gesehen.
Dies betrifft auch Konflikte, die keine (rein) religiöse Grundlage haben. Exemplarisch zu nennen wäre der Konflikt (Völkermord) in Ruanda.
Aber auch in Europa gibt es massive Probleme. Insbesondere die Verfolgung der Sinti und Roma in Serbien, Bosnien, Albanien (...). Jeder kennt die Vorurteile über diese Bevölkerungsgruppe, und von rechts wird gern die Mär vom fahrenden und stehlenden Volk genährt. Tatsächlich sind diese Menschen massiver Verfolgung ausgesetzt, egal wo sie hinkommen, besonders aber dort wo sie herkommen.
Und natürlich gibt es Menschen, die einfach vor Krieg und Terrorismus flüchten. Davon gibt es von Afghanistan, Irak, Pakistan, Palästina, Jemen, Lybien, und Sudan bis Chad oder Nigeria, aber auch in der Ukraine und in Syrien mehr als genug.
Zahlen dazu gibt es, aber nicht alle sind belastbar. Viele Geflüchtete werden nie erfasst, für die europäischen Ströme ist das halbwegs zuverlässig. Es ist aber an diesen verschiedenen Zahlen der klare Trend erkennbar: die meisten flüchten nicht, weil sie unsere Arbeitsplätze wegnehmen wollen, sondern aus Angst. Das bringt mich zum nächsten Thema:
Ist die Flucht dieser Menschen (hierher) legitim?
Auch diese Antwort ist unglaublich komplex. Wer sich mal die Zeit nimmt und mit Geflüchteten redet, wird von jeder Person andere Intentionen erfahren. Einige Gründe stehen oben, andere werde ich ausführen und hier (noch?) weniger objektiv schreiben.
Geht von der Prämisse aus, dass Menschen, die als Geflüchtete_r hier landen, zum Zeitpunkt ihrer Geburt und in den Jahren danach ein für ihre Verhältnisse normales Leben haben:
-halbwegs gesichertes Einkommen (genug für Unterkunft und Nahrung)
-Zugang zu Wasser
-soziale Kontakte, Freunde, Familie
-sehr unterschiedliche Bildung
Diese Punkte sind je nach Herkunft sehr unterschiedlich. Die Personen, mit denen ich geredet habe, hatten aber immer in ihrer Geschichte diesen einen Wendepunkt, der das kaputtgemacht hat. Ausbruch eines Konflikts, Vergewaltigung, Entdeckung der Homosexualität (und die in den beiden letzten Fällen damit verbundene soziale Ächtung/Vertreibung), Beschneidung, Politisierung.
Diese Erfahrungen sind in einem Maße traumatisch, dass es nicht möglich war, in dieser Gegend zu bleiben. Hier kommt auch der Punkt Bildung ins Spiel:
Eine Freundin von mir arbeitet als Betreuerin für 2 Geflüchtete, ein Mädchen (12) und ein Junge/Mann (21), er aus Syrien, sie aus Tschetschenien. Sie redet mit den beiden, hilft im Alltag, versucht ihnen die Kultur zu erklären. Sie war mit dem Mädchen im Kino und es kam im Film das Thema altes Ägypten auf. Das Mädchen hatte noch nie von diesem Land gehört, geschweige denn eine Ahnung, wie die Kultur damals war. Ihre Familie ist vor religiöser Verfolgung geflohen.
Mit dem Mann dreht sich die Thematik sehr viel darum, dass er erzogen wurde, immer stark zu sein, hier aber viel Angst hat. Er weiß nicht, was er tun kann, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden und ist in einem Land, dessen Kultur er nicht kennt, dessen Sprache ihm noch immer schwerfällt. Er stammt aus Homs, seine Familie ist vor der Zerstörung geflohen. Sie haben kürzlich über die Stadt und die Moschee gesprochen, er wollte ihr Bilder davon zeigen und sie habens gegooglet und nur Ruinenbilder gefunden. Ich gehe jetzt auf die emotionale Ebene:
Mir gibt die Tatsache, immer, in jeder Situation, die Option zu haben in meinem behüteten Nest in der Nähe von Krefeld wieder auf die Beine zu kommen, einen großen Halt.
Sind das jetzt emotionale Einzelfälle, die ich raussuche, um meinen Punkt bestätigt zu finden? Mitnichten.
Pro Asyl schrieb:
Mit Abstand die größte Gruppe unter den Asylsuchenden in Deutschland sind derzeit Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkrieg (rund 12.900 Anträge im ersten Halbjahr 2014). Danach folgen Flüchtlinge, die als Roma in Serbien (9.400 Anträge) und anderen Balkan-Staaten existenzieller Not und vielfältiger Diskriminierung ausgesetzt sind. (...) Eine steigende Zahl von Asylsuchenden kommt aus Afghanistan (4.500), wo Anschläge, Verfolgung und Machtkämpfe mehr zivile Opfer fordern denn je. An vierter Stelle der Herkunftsländer steht die Militärdiktatur Eritrea (4.000), die tausende Menschen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt an unbekannten Orten im Gefängnis verschwinden lässt.
Warum sollten wir diese Menschen aufnehmen?
Einerseits natürlich das moralische Argument: die Menschlichkeit gebietet es. Punkt.
Aber auch: Selbst "arme" Menschen in Deutschland müssen (vorausgesetzt, dass sie den bürokratischen Aufwand bewältigen) nicht hungern, aus jedem Wasserhahn kommt Trinkwasser, jeder Mensch hat Zugang zu Bildung und wir alle haben die Möglichkeit, uns einen gewissen Wohlstand aufzubauen, wenn das das jeweilige Ziel ist. Uns geht es wirtschaftlich so gut wie (fast) nie, wir haben viel Platz. Deutschlands Bevölkerung sinkt, die Urbanisierung nimmt zu, die Landwirtschaft. Außer (anerzogenem) Eigeninteresse, diesen Wohlstand für uns zu behalten, haben wir wenige Argumente.
Außerdem:
taz schrieb:
Die, die sich auf die lange gefährliche Reise nach Europa machen, sind die Minderheit. Oft diejenige Söhne und Töchter, die das meiste Potenzial haben, in Deutschland, Schweden oder Italien Fuß zu fassen, einen Job zu finden und eventuell bald Geld nach Hause schicken können. In der Regel die gut Ausgebildeten mit Universitätsabschluss. Und genau von dieser Kategorie von Flüchtlingen profitiert Ugandas Wirtschaft. (...)
Denn genau: Diese Flüchtlinge, das sind doch Mechaniker, Händler, Köche, Ingenieure! Die kommen mit all ihren Ersparnissen, um sich ein neues Leben aufzubauen. Sie investieren, um zu überleben. Denn der Staat kann sie nicht durchfüttern.
Also eröffnen sie kleine Läden, Restaurants, fahren Taxi oder gehen zur Universität. Sie zahlen im besten Fall später sogar Steuern, stellen ein paar Ugander ein. Sie zahlen Miete für ein Haus, für einen Laden. Sie konsumieren – und fördern damit die Wirtschaft in Uganda.
Dieses Zitat führt mich zum nächsten Thema:
Wie wollen wir mit Geflüchteten umgehen?
Die derzeitige Situation führt dazu, dass Gründe für Vorurteile befördert werden.
Der bürokratische Aufwand durch komplexe Gesetzeslage, die Unterbesetzung der Ämter erhöhen die Schwierigkeit, hier eine Arbeitserlaubnis (oder eine Aufenthaltserlaubnis oder gar Bleiberecht!) zu erhalten. Dazu kommen teilweise rassistische Problematiken in den Ämtern. In Leipzig wurde Asylsuchenden etwa das Recht verweigert, Personen als Dolmetscher_in mitzubringen. Gleichzeitig wurde aber auch eine Gesprächsführung auf englisch abgelehnt. Auch das ist kein Einzelfall, mit etwas Zeit und Suchmaschine kann man da einiges zu finden. Diese Gespräche führen auch dazu, dass diesen Menschen keine Deutschkurse besuchen können, aber diese Gespräche auf deutsch führen sollen.
Diese bürokratischen Hürden könnten einen eigenen Thread füllen, etwa dass man eine Arbeit braucht um einen Aufenthaltserlaubnis zu kriegen und eine Aufenthaltserlaubnis, damit man arbeiten darf. Auf Nachfrage kann ich hier gerne noch nachlegen.
Ein erstes Jahr wird also oft damit gefüllt, dass (unter Umständen/häufig) traumatisierte Menschen versuchen, in einem Land eine Position zu finden. Als Ausgangspunkt dafür dienen überfüllte Unterkünfte, teilweise in Turnhallen oder schlimmerem, die fehlende Möglichkeit die Sprache lernen zu dürfen, das Verbot, sich seinen Standort aussuchen zu dürfen (Königsteiner Schlüssel, eingeschränkte Mobilität), ein Arbeitsverbot, keine Anerkennung von Abschlüssen, drohende Abschiebung, sehr mangelhafte Betreuung, anfangs nicht einmal eigenes Geld sondern Essensmarken und Ablehnung durch die Bevölkerung.
Wer Menschen vorwirft, sich nicht integrieren zu wollen, sollte diese Punkte bitte mit beachten.
Wie sollte es sein?
Meine eigentlich radikaleren Positionen behalte ich für mich. Aber moderate Forderungen, die ich für essentiell halte:
-Bessere Betreuungen für alle - mindestens eine Sozialarbeiterstelle auf 100 Geflüchtete, FSJ-/BFD-Stellen mit Schulungen und Betreuung ermöglichen.
-Sensibiliserung auf Ämtern für die Thematik, Dolmetscher_innen als Festangestellte (bisher Pflicht für Geflüchtete jemand mitzubringen, ohne die Sprache zu können und ohne Geld)
-Schnellere Vergabe von Aufenthaltserlaubnis und Arbeitserlaubnis
-bessere Anerkennung von Abschlüssen, meinetwegen auch mit Prüfungen (Sprachbarriere!)
-Möglichkeiten, den Standort zu wechseln, wenn Begründung vorliegt (Familie in einem anderen Ort beispielsweise)
-Keine Ausweisung in "sichere" Herkunftsländer. Diese Regelung ist eine Farce.
-Gute Sprachkurse, die man ohne bürokratische Schwelle besuchen kann. Im Wedding gibt es stattdessen eine ehrenamtliche AG Sprache (in der ich auch aktiv bin)
Was kann ich tun?
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass politische Forderungen das eine sind. Andererseits muss man auch vorleben, was man fordert. Überall gibt es engagierte Menschen, die daran arbeiten, die Situation für diese Menschen zu verbessern. Dabei kann jede_r nach den eigenen Talenten mithelfen. Sprachkurse, Begleitungen zu Ämtern, dolmetschen, gemeinsam Sport machen oder einfach nur im Café treffen und sprechen. Den Menschen vermitteln, dass sie eben doch (bei einigen) willkommen sind, die Sprache üben, Spenden verwalten, Nachhilfe geben, Kultur- und Berührungsängste abbauen.
Viele Themen habe ich hier nicht eingebaut, da sie den Rahmen komplett sprengen würden, etwa die Situation im Mittelmeer. Wenn die Thematik auf Interesse stößt, schreibe ich da gerne etwas zu.
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