Warum mit seinem Geldbeutel abstimmen nicht funktionieren kann
Da ich in jüngster Zeit BioShock Remastered gespielt habe und dazu noch stundenlange Entwicklerkommentare dazu geschaut habe, habe ich auch gleich mein altes BioShock-Review remastern wollen, aber ich dachte mir mal, ich wechsle den Content etwas ab. Immerhin gibt es gerade in der Gamingwelt einen lustigen, fetzigen Konflikt, dessen jüngster Auswuchs sich im Vorfeld des Releases von Borderlands 3 abgezeichnet hat. Ich spreche natürlich davon, dass Gearbox - die Entwickler von Borderlands 3 - mit Epic Games einen halbjährigen Exklusivvertrag geschlossen haben, eine Praxis, die für Gearbox rein geschäftlich gesehen sehr profitabel ist, aber aufs Ganze gesehen konsumentenfeindlich ist. Ich sag's frei heraus: ich unterstütze Gearbox, ich mag das Borderlands-Franchise, und natürlich sollen Gearbox das Geld verdienen, um weiter gute Spiele machen zu können. Hat der Entwickler Geld, kann er es in seine Produkte investieren, die wiederum an die zahlungswilligen Konsumenten gehen, die mit dem Produkt dann Freude haben.
An dieser Stelle wird es kompliziert. Bezahlmodelle haben sich im Lauf der Zeit stark weiterentwickelt. Eine lange Zeit gab es nur ein einziges Vertriebsmodell: den Verkauf physischer Kopien. Man nahm die Verpackung, wo sich eine CD oder DVD drin befand (es heißt, in grauer Urzeit habe man schwarze, schwere Plastikdinger benutzt), hat die zur Kasse getragen, und dann war man stolzer Besitzer eines Spiels. Patches hat man über die Heft-DVDs von Spielezeitschriften bezogen, unzensierte Fassungen mussten umständlich über Österreich bestellt werden, und wenn man mal auf Englisch spielen wollte, musste ein ausländischer Handel bemüht werden, was in Pre-Internet-Zeit eine echte Herausforderung war, wenn die gewünschte Sprachfassung nicht gerade direkt beim Verkauf mitgeliefert wurde.
Das bedeutete freilich auch, dass das Problem der Raubkopie existierte. Einmal im Besitz eines Spiels, konnte man so oft kopieren, wie man Rohlinge zum Brennen hatte. Das heißt natürlich, dass die finanziellen Einbußen potentiell riesig sein konnten und die damals noch junge Industrie darauf spekulierte, dass die Leidenschaft der Spielergemeinde die Profite weit oben genug halten würde, um den Betrieb am Laufen halten zu können. Und auch wenn Raubkopien dabei sicherlich kein dominanter Faktor waren und nur die Suche nach kopiersicheren Vertriebsmethoden anfeuerten, gingen viele Firmen pleite. Einher damit ging aber auch ein Konflikt, der sehr lange andauerte: der Konflikt zwischen Entwicklern und Publishern. Ich habe in nicht nur einem Post hier erwähnt, dass Publisher der Spielehitler sind, und das meine ich aus einem rein künstlerischen Standpunkt: Wann immer eine Entscheidung gefällt wurde, die dem Endprodukt unnötig Qualitätseinbuße auferlegt hat, standen die Chancen hoch, dass der Publisher ein Hund gewesen ist. Es hat mich null verwundert, zu erfahren, dass hinter der Entscheidung, dass BioShock mehrere Enden und einen Bossfight braucht, der Publisher 2K stand; ebenso wie Troika Games pleite gegangen sind, nachdem sie ein unfertiges Produkt verkaufen mussten (Vampire: Bloodlines), weil Activision zu sehr aufs Gas gedrückt hatten.
Während all dieser Zeit ist es keiner Firma gelungen, einen wirksamen Kopierschutz zu entwickeln. Ich erinnere mich daran, in einer Spielezeitschrift - es mag PC Games oder PC ACTION gewesen sein - noch eine Anleitung gefunden zu haben, wie man einen Kopierschutz umgeht, indem man eine technische Markierung auf der beschriebenen Seite einer DVD mit einem Filzstift übermalt. Nicht nur, dass das unfassbar ulkig ist, für's Publizieren einer solchen Information würde es heute Klagen hageln.
Das Verhältnis zwischen Entwicklern und Publishern ist nie einfach gewesen, und ich habe mich in solchen Disputen immer aufseiten der Entwickler wiedergefunden. Ihr Interesse ist, gute Spiele zu produzieren; mein Interesse ist, gute Spiele zu spielen, das Interesse des Publishers ist, an unseren Interessen Geld zu verdienen. Genau wie in der Musikindustrie war man aufeinander angewiesen, aber sowohl Entwickler (Musiker) als auch Spieler (Hörer) waren darauf aus, mittelfristig den Zwischenhändler rauszunehmen. Das Ganze setzt sich bis heute fort, aber die Natur hat sich verändert, und ganz am Anfang steht ein Rechtsstreit, den eine Entwicklerfirma namens Valve Software mit dem Publisher Vivendi Universal führte.
Steam oder: Die schleichende Revolution
Stein des Anstoßes war, dass Valve damals die Zeichen der Zeit erkannten. Valve wollten, neben dem traditionellen Verkauf per physischer Kopie, ein eigenes Online-Vertriebssystem namens Steam aufziehen, und Half-Life 2 sollte der erste Titel sein, der darauf erhältlich sein sollte. Im Vertrag zwischen Valve und Vivendi gab es eine Klausel, die Valve die Vertriebsrechte über das Internet zusicherte, was eine Sache war, die bis zu dem Punkt irgendwie niemand so richtig gemacht hatte. Freilich hatten Vivendi keine Lust, sich von diesem Vorstoß die Profite schmälern zu lassen, aber letztendlich gewannen Valve den Rechtsstreit, und so wurde 2004 Half-Life als erstes Spiel auf Steam gebracht und verkauft.
Die Annahme, dass das Internet in der Zukunft eine kolossale Rolle beim Spieleverkauf einnehmen würde, hat sich über alle Maßen bewahrheitet, doch die Anfänge sind hart gewesen. Sicher, Half-Life 2 waren ein paar Skandale vorausgegangen, aber es war immer noch das Jahr 2004, und die Gamingwelt war zwar noch nicht so unglaublich vernetzt wie heute, aber alle waren sich einig: Permanenter Onlinezwang, in Zeiten, wo man mit 1k DSL echt gut dabei war? Stundenlang Updates laden, bevor man ein Singleplayerspiel spielen kann? Und auch wenn die Industrie es nicht geschafft hatte, einen wirksamen Kopierschutz zu entwickeln: Auf einmal sollte man sich ein Zusatzprogramm, einen Valvetrojaner, auf den PC laden, damit Valve schön überwachen konnten, ob man auch wirklich legal das Spiel erworben hatte?
Was ging bitte ab? Gamers rise up, hieß es zum ersten Mal. Vote with your wallet - wenn die Geschäftspraxis scheiße ist, kauft nicht das Produkt. Es erübrigt sich zu sagen, dass das der Beginn einer Erfolgsgeschichte war. Aber nicht des organisierten Widerstandes gegen zweifelhafte Geschäftspraktiken, sondern des weltgrößten Onlineshops für Spiele und sonstige Software, dessen Status als Platzhirsch bis vor relativ kurzer Zeit unangetastet gewesen ist. Interessant hierbei: Der Publisher liefert das Produkt an Läden aus, und Steam ist ein Laden. Steam wuchs über die Jahre dramatisch an und kaum ein Publisher konnte es ignorieren, dass ein derart großer Markt derart einfach zu erreichen war. Freilich hieß es auch, dass wegen Steams beherrschender Stellung im Onlinemarkt die Publisher gezwungen waren, Steams Geschäftsvertrag anzunehmen. Seit dem Jahr 2018 sieht Steam folgendes vor: 30% der Einnahmen von Spielverkäufen gehen an Valve, bis 10 Millionen Dollar in Verkäufen erzielt wurden. Danach geht der Anteil auf 25% runter, bis zur Grenze von 50 Millionen Dollar; danach geht der Anteil, den Steam einsackt, auf 20% herunter. (Quelle)
Gemessen daran, dass Steam durch diese Verteilung ohne allzu großen Aufwand für Valve Geld druckt, wie bekloppt, mag der Anteil, den Valve für sich einstecken, ziemlich hoch klingen. Nicht zuletzt daran liegt es, dass seit geraumer Zeit Konkurrenz im Entstehen begriffen ist. Blizzard haben schon sehr lange ihren Battle.net-Launcher, den sie sich dank finanzieller Unabhängigkeit (Shoutout an WoW und die Milksource-Gang) auch bewahren konnten; UbiSoft haben ihren UPlay-Launcher, und Epic Games haben mit Fortnite einen Überraschungshit gelandet, dessen Popularität Millionen von Konsumenten anzog und die Firma bewog, den Epic Games Store zu eröffnen.
Wir kommen langsam in die Gefilde, die mit der im Titel verurteilten Phrase vote with your wallet in Kontakt kommen. Der Machtkampf auf dem Sektor des Online-Spielevertriebs ist nur ein Schauplatz unter vielen. Die Lootboxen-Debatte (Overwatch, Star Wars: Battlefront), ausufernde Microtransactions (CoD, Dota 2, LoL), DLC-Wahnsinn (Paradox Interactive - zugegeben, die haben eine Ausrede), games as a service, es scheint manchmal, als hätten die falschen Leute herausgefunden, dass der picklige raubkopierende Gamer von damals nun ein erwachsener reicher Gamer mit Gamerkindern ist, und beschlossen, so subtil wie möglich so viel Geld wie möglich aus allen herauszuschütteln, die nicht aufpassen. Und jedes Mal, wenn der Eisberg sich als noch größer herausstellte, als wir seiner Spitze angesehen hatten, ging es heiß her in den Foren, Kommentarsektionen, Subreddits, Twitterthreads und YouTube-Videodebatten und Kritiken. An dieser Stelle ein RIP an TotalBiscuit, der für manche eine kontroverse Figur war, aber dem ich immer hoch anrechnen werde, dass er immer für das Recht des Konsumenten einstand, nicht über den Tisch gezogen zu werden.
Viel kam heraus in den letzten Jahren, was schmutzige Geschäftspraktiken angeht. Zum Beispiel ist es belegt, dass Spielekritiker, die in der Vergangenheit zu negative Reviews veröffentlicht hatten, von Publishern irgendwann nicht mehr mit Reviewkopien bedacht wurden, um im Vorfeld eines Releases schlechte Presse zu vermeiden; eine Praxis, die System hat, und auf die man vielleicht so reagieren könnte:
"Na und, wenn er schlechte Sachen schreibt, kann er doch nicht erwarten, dass die ihm auch noch free stuff geben?"
Die Absicht dahinter ist nicht, den Kritiker dafür abzustrafen, dass er blöde Sachen geschrieben hat; die Absicht ist, seine Reichweite einzugrenzen, um die Verkaufszahlen nicht zu gefährden. Um es noch einfacher zu sagen: Es geht darum, den Konsumenten zu ficken und den Diskurs über das Produkt zu ersticken. Ganz ohne Aluhut. Es soll vereinfacht werden, einem Müll zu verkaufen. Die Aufgabe des Kritikers ist, eine fundierte Meinung zu präsentieren, Fortschritte zu loben und auf Mängel hinzuweisen. Diejenigen, die diese Aufgabe kompetent vollbringen, zeichnen sich irgendwann ab und gewinnen innerhalb der Gamingsphäre an Zugkraft; und das ist eine Zugkraft, die Verkaufszahlen abträglich werden kann.
Es bleibt jedoch nicht jede schlechte Tat unbestraft. Hello Games haben sich mit No Man's Sky eine verdiente Publicityschelle eingefangen, genauso EA, die mit ihrem sense of accomplishment-Geschwafel ein absolutes Abzocksystem zu verteidigen versucht haben, aber das Ding bleibt immer, dass es erst eine Massenreaktion braucht. Es gibt mehrere gute Gründe, Epic Games mit Boykott zu strafen, aber keiner davon scheint dem Durchschnittsspieler gravierend genug, um auf die Exclusives zu verzichten, deren Existenz bereits ein Schlag ins Gesicht eines Konsumenten ist. Man kann von Steam halten was man will, aber es gibt drei Sachen die ich Valve da in der Hinsicht anrechne: Erstens glaube ich, dass wir Steam den schleichenden Tod der BPjM zu verdanken haben. Zweitens sind sie unabhängig, und drittens haben sie nie auf Exklusivdeals zurückgegriffen. Epic Games hingegen versuchen sich, mit Exklusivdeals (das heißt: mit dem Holzhammer) Marktanteile zu erkaufen, auf dem Rücken des Konsumenten. (dass Epic Games Tencent gehören, einem chinesischen IT-Riesen, der nicht nur zweifelhaft, sondern batshit insane ist, ist da noch eine ganz andere Geschichte mit anderen Implikationen, aber das alles noch aufzurollen würde vermutlich Tage dauern).
Komm zum Punkt, du besoffener Döskopp
Ich hab jetzt weit ausgeholt - sehr weit - aber es war nötig, um die Tragweite dessen zu erfassen, was nötig ist, um uns als Konsumenten in diesem Business sinnvoll zu positionieren. Sehr viel Scheiße ist passiert und ich versuche, möglichst jede Kontroverse zumindest am Rand mitzukriegen. Und immer, immer, taucht dabei ein Satz auf, den ich inzwischen nicht mehr lesen kann.
Vote with your wallet.
Wenn du die Praxis nicht magst, kauf das Produkt nicht, so einfach ist das. So einfach ist das. Ich verstehe ja, warum er für viele so intuitiv richtig klingt, und auf eine gewisse Weise ist er auch nicht falsch. Die Implikation die darin steckt, ist aber, dass wir als Konsumenten uns in einem prinzipiell demokratischen System befänden, dessen Abstimmungssystem über Kaufen oder Nichtkaufen abgewickelt wird. Und das ist ein fataler Irrtum. Konsum ist kein JA oder NEIN. Es ist ein JA, oder gar nichts. Um zu erklären, was ich meine: Was kann es für Gründe geben, ein Spiel zu kaufen?
Wir mögen die Story.
Wir sind an den Charakteren interessiert.
Wir finden die Mechaniken interessant.
Wir finden das Setting cool.
Uns hat das Promomaterial gefallen und wir wollen mehr sehen.
Die Grafik sieht so richtig zum abjizzen geil aus.
Wir sammeln Spiele.
Wir möchten es professionell spielen.
Wir möchten es speedrunnen.
Wir sind Kritiker und möchten es reviewen.
Unsere Freunde spielen es alle und wir wollen nicht allein sein.
Wir haben den Vorgänger gespielt und sind interessiert am neuen Teil.
- diese Gründe nur aus dem Stegreif, es gibt wohl so viele Gründe ein Spiel zu kaufen, wie es Spieler gibt. Einer oder mehrere Gründe aus der Liste mögen uns also bewogen haben, mittels Brieftasche für JA zu stimmen. Welchen dieser Gründe haben wir durch den Vote kommuniziert?
Keinen. Wir haben JA gesagt, weil das das einzige Wort ist, das Geld imstande zu sagen ist. Genauso wenig kommuniziert es irgendwas, ein Spiel nicht zu kaufen. Genau genommen noch weniger als JA, nämlich nichts. Etwas nicht kaufen heißt eine Handlung nicht zu vollziehen. Wie soll die Firma, bei der wir mit der Brieftasche abstimmen wollen, durch nicht kaufen irgendwas darüber erfahren, warum wir nicht gekauft haben? Im Endeffekt haben wir nichts getan. Freilich werden viele dieser Gründe validiert oder invalidiert, nachdem das fertige Produkt erschienen ist, und da wird es dann instrumental für die Verkäuferseite, soviel Einfluss wie möglich auf den Diskurs zu nehmen, um schlechte Presse zu verhindern, vorteilhafte Kritiken möglichst weit zu verbreiten, denn dann erhalten die Verkaufszahlen auch keinen Dämpfer. (Huh, interessant...)
In diesem Kontext könnte man argumentieren: gut, dann unterstützen wir einfach die Publisher mit fairen Geschäftspraktiken und kaufen eben ihre Produkte. Da gilt wieder: Unser Geld sagt nur JA. Es hilft aber am Ende nichts, wenn die bad guys die good guys einfach aufkaufen, weil die bad guys mehr Ressourcen und weniger Skrupel hatten, die Situation zu ihren Gunsten zu manipulieren. Die good guys zu supporten wird die bad guys nicht aufhalten.
Um mal zu einem Ende zu kommen: Das soll alles nicht heißen, dass voting with your wallet etwa Schaden anrichtet. Es ist lediglich ein nutzloser Schritt, wenn es nur dabei bleibt. Es ist nicht der fehlende Wille, die Situation zu verbessern, der mich an dem Satz nervt; es ist die implizite Genügsamkeit, man habe alles in seiner Macht stehende getan, nachdem man effektiv nichts getan hat.
[Fortsetzung möglich, finde die daraus resultierenden Fragen nämlich interessant und habe jetzt zu lang an diesem Post gesessen, um ihn jetzt noch zu cannen]
Da ich in jüngster Zeit BioShock Remastered gespielt habe und dazu noch stundenlange Entwicklerkommentare dazu geschaut habe, habe ich auch gleich mein altes BioShock-Review remastern wollen, aber ich dachte mir mal, ich wechsle den Content etwas ab. Immerhin gibt es gerade in der Gamingwelt einen lustigen, fetzigen Konflikt, dessen jüngster Auswuchs sich im Vorfeld des Releases von Borderlands 3 abgezeichnet hat. Ich spreche natürlich davon, dass Gearbox - die Entwickler von Borderlands 3 - mit Epic Games einen halbjährigen Exklusivvertrag geschlossen haben, eine Praxis, die für Gearbox rein geschäftlich gesehen sehr profitabel ist, aber aufs Ganze gesehen konsumentenfeindlich ist. Ich sag's frei heraus: ich unterstütze Gearbox, ich mag das Borderlands-Franchise, und natürlich sollen Gearbox das Geld verdienen, um weiter gute Spiele machen zu können. Hat der Entwickler Geld, kann er es in seine Produkte investieren, die wiederum an die zahlungswilligen Konsumenten gehen, die mit dem Produkt dann Freude haben.
An dieser Stelle wird es kompliziert. Bezahlmodelle haben sich im Lauf der Zeit stark weiterentwickelt. Eine lange Zeit gab es nur ein einziges Vertriebsmodell: den Verkauf physischer Kopien. Man nahm die Verpackung, wo sich eine CD oder DVD drin befand (es heißt, in grauer Urzeit habe man schwarze, schwere Plastikdinger benutzt), hat die zur Kasse getragen, und dann war man stolzer Besitzer eines Spiels. Patches hat man über die Heft-DVDs von Spielezeitschriften bezogen, unzensierte Fassungen mussten umständlich über Österreich bestellt werden, und wenn man mal auf Englisch spielen wollte, musste ein ausländischer Handel bemüht werden, was in Pre-Internet-Zeit eine echte Herausforderung war, wenn die gewünschte Sprachfassung nicht gerade direkt beim Verkauf mitgeliefert wurde.
Das bedeutete freilich auch, dass das Problem der Raubkopie existierte. Einmal im Besitz eines Spiels, konnte man so oft kopieren, wie man Rohlinge zum Brennen hatte. Das heißt natürlich, dass die finanziellen Einbußen potentiell riesig sein konnten und die damals noch junge Industrie darauf spekulierte, dass die Leidenschaft der Spielergemeinde die Profite weit oben genug halten würde, um den Betrieb am Laufen halten zu können. Und auch wenn Raubkopien dabei sicherlich kein dominanter Faktor waren und nur die Suche nach kopiersicheren Vertriebsmethoden anfeuerten, gingen viele Firmen pleite. Einher damit ging aber auch ein Konflikt, der sehr lange andauerte: der Konflikt zwischen Entwicklern und Publishern. Ich habe in nicht nur einem Post hier erwähnt, dass Publisher der Spielehitler sind, und das meine ich aus einem rein künstlerischen Standpunkt: Wann immer eine Entscheidung gefällt wurde, die dem Endprodukt unnötig Qualitätseinbuße auferlegt hat, standen die Chancen hoch, dass der Publisher ein Hund gewesen ist. Es hat mich null verwundert, zu erfahren, dass hinter der Entscheidung, dass BioShock mehrere Enden und einen Bossfight braucht, der Publisher 2K stand; ebenso wie Troika Games pleite gegangen sind, nachdem sie ein unfertiges Produkt verkaufen mussten (Vampire: Bloodlines), weil Activision zu sehr aufs Gas gedrückt hatten.
Während all dieser Zeit ist es keiner Firma gelungen, einen wirksamen Kopierschutz zu entwickeln. Ich erinnere mich daran, in einer Spielezeitschrift - es mag PC Games oder PC ACTION gewesen sein - noch eine Anleitung gefunden zu haben, wie man einen Kopierschutz umgeht, indem man eine technische Markierung auf der beschriebenen Seite einer DVD mit einem Filzstift übermalt. Nicht nur, dass das unfassbar ulkig ist, für's Publizieren einer solchen Information würde es heute Klagen hageln.
Das Verhältnis zwischen Entwicklern und Publishern ist nie einfach gewesen, und ich habe mich in solchen Disputen immer aufseiten der Entwickler wiedergefunden. Ihr Interesse ist, gute Spiele zu produzieren; mein Interesse ist, gute Spiele zu spielen, das Interesse des Publishers ist, an unseren Interessen Geld zu verdienen. Genau wie in der Musikindustrie war man aufeinander angewiesen, aber sowohl Entwickler (Musiker) als auch Spieler (Hörer) waren darauf aus, mittelfristig den Zwischenhändler rauszunehmen. Das Ganze setzt sich bis heute fort, aber die Natur hat sich verändert, und ganz am Anfang steht ein Rechtsstreit, den eine Entwicklerfirma namens Valve Software mit dem Publisher Vivendi Universal führte.
Steam oder: Die schleichende Revolution
Stein des Anstoßes war, dass Valve damals die Zeichen der Zeit erkannten. Valve wollten, neben dem traditionellen Verkauf per physischer Kopie, ein eigenes Online-Vertriebssystem namens Steam aufziehen, und Half-Life 2 sollte der erste Titel sein, der darauf erhältlich sein sollte. Im Vertrag zwischen Valve und Vivendi gab es eine Klausel, die Valve die Vertriebsrechte über das Internet zusicherte, was eine Sache war, die bis zu dem Punkt irgendwie niemand so richtig gemacht hatte. Freilich hatten Vivendi keine Lust, sich von diesem Vorstoß die Profite schmälern zu lassen, aber letztendlich gewannen Valve den Rechtsstreit, und so wurde 2004 Half-Life als erstes Spiel auf Steam gebracht und verkauft.
Die Annahme, dass das Internet in der Zukunft eine kolossale Rolle beim Spieleverkauf einnehmen würde, hat sich über alle Maßen bewahrheitet, doch die Anfänge sind hart gewesen. Sicher, Half-Life 2 waren ein paar Skandale vorausgegangen, aber es war immer noch das Jahr 2004, und die Gamingwelt war zwar noch nicht so unglaublich vernetzt wie heute, aber alle waren sich einig: Permanenter Onlinezwang, in Zeiten, wo man mit 1k DSL echt gut dabei war? Stundenlang Updates laden, bevor man ein Singleplayerspiel spielen kann? Und auch wenn die Industrie es nicht geschafft hatte, einen wirksamen Kopierschutz zu entwickeln: Auf einmal sollte man sich ein Zusatzprogramm, einen Valvetrojaner, auf den PC laden, damit Valve schön überwachen konnten, ob man auch wirklich legal das Spiel erworben hatte?
Was ging bitte ab? Gamers rise up, hieß es zum ersten Mal. Vote with your wallet - wenn die Geschäftspraxis scheiße ist, kauft nicht das Produkt. Es erübrigt sich zu sagen, dass das der Beginn einer Erfolgsgeschichte war. Aber nicht des organisierten Widerstandes gegen zweifelhafte Geschäftspraktiken, sondern des weltgrößten Onlineshops für Spiele und sonstige Software, dessen Status als Platzhirsch bis vor relativ kurzer Zeit unangetastet gewesen ist. Interessant hierbei: Der Publisher liefert das Produkt an Läden aus, und Steam ist ein Laden. Steam wuchs über die Jahre dramatisch an und kaum ein Publisher konnte es ignorieren, dass ein derart großer Markt derart einfach zu erreichen war. Freilich hieß es auch, dass wegen Steams beherrschender Stellung im Onlinemarkt die Publisher gezwungen waren, Steams Geschäftsvertrag anzunehmen. Seit dem Jahr 2018 sieht Steam folgendes vor: 30% der Einnahmen von Spielverkäufen gehen an Valve, bis 10 Millionen Dollar in Verkäufen erzielt wurden. Danach geht der Anteil auf 25% runter, bis zur Grenze von 50 Millionen Dollar; danach geht der Anteil, den Steam einsackt, auf 20% herunter. (Quelle)
Gemessen daran, dass Steam durch diese Verteilung ohne allzu großen Aufwand für Valve Geld druckt, wie bekloppt, mag der Anteil, den Valve für sich einstecken, ziemlich hoch klingen. Nicht zuletzt daran liegt es, dass seit geraumer Zeit Konkurrenz im Entstehen begriffen ist. Blizzard haben schon sehr lange ihren Battle.net-Launcher, den sie sich dank finanzieller Unabhängigkeit (Shoutout an WoW und die Milksource-Gang) auch bewahren konnten; UbiSoft haben ihren UPlay-Launcher, und Epic Games haben mit Fortnite einen Überraschungshit gelandet, dessen Popularität Millionen von Konsumenten anzog und die Firma bewog, den Epic Games Store zu eröffnen.
Wir kommen langsam in die Gefilde, die mit der im Titel verurteilten Phrase vote with your wallet in Kontakt kommen. Der Machtkampf auf dem Sektor des Online-Spielevertriebs ist nur ein Schauplatz unter vielen. Die Lootboxen-Debatte (Overwatch, Star Wars: Battlefront), ausufernde Microtransactions (CoD, Dota 2, LoL), DLC-Wahnsinn (Paradox Interactive - zugegeben, die haben eine Ausrede), games as a service, es scheint manchmal, als hätten die falschen Leute herausgefunden, dass der picklige raubkopierende Gamer von damals nun ein erwachsener reicher Gamer mit Gamerkindern ist, und beschlossen, so subtil wie möglich so viel Geld wie möglich aus allen herauszuschütteln, die nicht aufpassen. Und jedes Mal, wenn der Eisberg sich als noch größer herausstellte, als wir seiner Spitze angesehen hatten, ging es heiß her in den Foren, Kommentarsektionen, Subreddits, Twitterthreads und YouTube-Videodebatten und Kritiken. An dieser Stelle ein RIP an TotalBiscuit, der für manche eine kontroverse Figur war, aber dem ich immer hoch anrechnen werde, dass er immer für das Recht des Konsumenten einstand, nicht über den Tisch gezogen zu werden.
Viel kam heraus in den letzten Jahren, was schmutzige Geschäftspraktiken angeht. Zum Beispiel ist es belegt, dass Spielekritiker, die in der Vergangenheit zu negative Reviews veröffentlicht hatten, von Publishern irgendwann nicht mehr mit Reviewkopien bedacht wurden, um im Vorfeld eines Releases schlechte Presse zu vermeiden; eine Praxis, die System hat, und auf die man vielleicht so reagieren könnte:
"Na und, wenn er schlechte Sachen schreibt, kann er doch nicht erwarten, dass die ihm auch noch free stuff geben?"
Die Absicht dahinter ist nicht, den Kritiker dafür abzustrafen, dass er blöde Sachen geschrieben hat; die Absicht ist, seine Reichweite einzugrenzen, um die Verkaufszahlen nicht zu gefährden. Um es noch einfacher zu sagen: Es geht darum, den Konsumenten zu ficken und den Diskurs über das Produkt zu ersticken. Ganz ohne Aluhut. Es soll vereinfacht werden, einem Müll zu verkaufen. Die Aufgabe des Kritikers ist, eine fundierte Meinung zu präsentieren, Fortschritte zu loben und auf Mängel hinzuweisen. Diejenigen, die diese Aufgabe kompetent vollbringen, zeichnen sich irgendwann ab und gewinnen innerhalb der Gamingsphäre an Zugkraft; und das ist eine Zugkraft, die Verkaufszahlen abträglich werden kann.
Es bleibt jedoch nicht jede schlechte Tat unbestraft. Hello Games haben sich mit No Man's Sky eine verdiente Publicityschelle eingefangen, genauso EA, die mit ihrem sense of accomplishment-Geschwafel ein absolutes Abzocksystem zu verteidigen versucht haben, aber das Ding bleibt immer, dass es erst eine Massenreaktion braucht. Es gibt mehrere gute Gründe, Epic Games mit Boykott zu strafen, aber keiner davon scheint dem Durchschnittsspieler gravierend genug, um auf die Exclusives zu verzichten, deren Existenz bereits ein Schlag ins Gesicht eines Konsumenten ist. Man kann von Steam halten was man will, aber es gibt drei Sachen die ich Valve da in der Hinsicht anrechne: Erstens glaube ich, dass wir Steam den schleichenden Tod der BPjM zu verdanken haben. Zweitens sind sie unabhängig, und drittens haben sie nie auf Exklusivdeals zurückgegriffen. Epic Games hingegen versuchen sich, mit Exklusivdeals (das heißt: mit dem Holzhammer) Marktanteile zu erkaufen, auf dem Rücken des Konsumenten. (dass Epic Games Tencent gehören, einem chinesischen IT-Riesen, der nicht nur zweifelhaft, sondern batshit insane ist, ist da noch eine ganz andere Geschichte mit anderen Implikationen, aber das alles noch aufzurollen würde vermutlich Tage dauern).
Komm zum Punkt, du besoffener Döskopp
Ich hab jetzt weit ausgeholt - sehr weit - aber es war nötig, um die Tragweite dessen zu erfassen, was nötig ist, um uns als Konsumenten in diesem Business sinnvoll zu positionieren. Sehr viel Scheiße ist passiert und ich versuche, möglichst jede Kontroverse zumindest am Rand mitzukriegen. Und immer, immer, taucht dabei ein Satz auf, den ich inzwischen nicht mehr lesen kann.
Vote with your wallet.
Wenn du die Praxis nicht magst, kauf das Produkt nicht, so einfach ist das. So einfach ist das. Ich verstehe ja, warum er für viele so intuitiv richtig klingt, und auf eine gewisse Weise ist er auch nicht falsch. Die Implikation die darin steckt, ist aber, dass wir als Konsumenten uns in einem prinzipiell demokratischen System befänden, dessen Abstimmungssystem über Kaufen oder Nichtkaufen abgewickelt wird. Und das ist ein fataler Irrtum. Konsum ist kein JA oder NEIN. Es ist ein JA, oder gar nichts. Um zu erklären, was ich meine: Was kann es für Gründe geben, ein Spiel zu kaufen?
Wir mögen die Story.
Wir sind an den Charakteren interessiert.
Wir finden die Mechaniken interessant.
Wir finden das Setting cool.
Uns hat das Promomaterial gefallen und wir wollen mehr sehen.
Die Grafik sieht so richtig zum abjizzen geil aus.
Wir sammeln Spiele.
Wir möchten es professionell spielen.
Wir möchten es speedrunnen.
Wir sind Kritiker und möchten es reviewen.
Unsere Freunde spielen es alle und wir wollen nicht allein sein.
Wir haben den Vorgänger gespielt und sind interessiert am neuen Teil.
- diese Gründe nur aus dem Stegreif, es gibt wohl so viele Gründe ein Spiel zu kaufen, wie es Spieler gibt. Einer oder mehrere Gründe aus der Liste mögen uns also bewogen haben, mittels Brieftasche für JA zu stimmen. Welchen dieser Gründe haben wir durch den Vote kommuniziert?
Keinen. Wir haben JA gesagt, weil das das einzige Wort ist, das Geld imstande zu sagen ist. Genauso wenig kommuniziert es irgendwas, ein Spiel nicht zu kaufen. Genau genommen noch weniger als JA, nämlich nichts. Etwas nicht kaufen heißt eine Handlung nicht zu vollziehen. Wie soll die Firma, bei der wir mit der Brieftasche abstimmen wollen, durch nicht kaufen irgendwas darüber erfahren, warum wir nicht gekauft haben? Im Endeffekt haben wir nichts getan. Freilich werden viele dieser Gründe validiert oder invalidiert, nachdem das fertige Produkt erschienen ist, und da wird es dann instrumental für die Verkäuferseite, soviel Einfluss wie möglich auf den Diskurs zu nehmen, um schlechte Presse zu verhindern, vorteilhafte Kritiken möglichst weit zu verbreiten, denn dann erhalten die Verkaufszahlen auch keinen Dämpfer. (Huh, interessant...)
In diesem Kontext könnte man argumentieren: gut, dann unterstützen wir einfach die Publisher mit fairen Geschäftspraktiken und kaufen eben ihre Produkte. Da gilt wieder: Unser Geld sagt nur JA. Es hilft aber am Ende nichts, wenn die bad guys die good guys einfach aufkaufen, weil die bad guys mehr Ressourcen und weniger Skrupel hatten, die Situation zu ihren Gunsten zu manipulieren. Die good guys zu supporten wird die bad guys nicht aufhalten.
Um mal zu einem Ende zu kommen: Das soll alles nicht heißen, dass voting with your wallet etwa Schaden anrichtet. Es ist lediglich ein nutzloser Schritt, wenn es nur dabei bleibt. Es ist nicht der fehlende Wille, die Situation zu verbessern, der mich an dem Satz nervt; es ist die implizite Genügsamkeit, man habe alles in seiner Macht stehende getan, nachdem man effektiv nichts getan hat.
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Ne marche pas devant moi, je ne te suivrai peut-être pas.
Ne marche pas derrière moi, je ne te guiderai peut-être pas.
Marche à côté de moi et sois simplement mon amie. - Albert Camus
Sundry's Gameblog! NEUER POST: Hunt: Showdown
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