Erstarken rechter Parteien in Deutschland - ist das Gendern schuld oder doch der Islam?

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    • langbutter schrieb:

      Ich bin mir recht sicher, dass es empirisch nicht haltbar ist AfD-Wähler auf sozial vernachlässigte Schichten zu reduzieren. Die gemeinsamen Eigenschaften sind Abstiegsängste und Kränkungserfahrungen, nicht der tatsächliche wirtschaftliche Status.
      Was heißt der tatsächliche wirtschaftliche Status? Der Reallohnverlust ist ja nicht ausgedacht

    • Ich wollte mit meiner Aussage darauf hinaus, dass die Deutung, dass AfD-Wähler eigentlich die natürliche Zielgruppe der Linken seien und sie entweder nur schlecht informiert sind oder das Angebot von links zu schlecht ist nicht haltbar ist. Die Partei wird durch alle Schichten hindurch gewählt. Dass sie also erfolgreich ist, ist nicht die alleinige Schuld des linken Spektrums. Das Erstarken des Rechtspopulismus ist ja auch ein globaler Trend. Es wäre schon arg komisch wenn in den letzten 20-30 Jahren einfach so zufällig fast alle linken Parteien auf der gesamten Welt spontan versagt hätten.

      @Ascent Das scheint mir keine Studie über AfD-Wähler zu sein. Damit man die These untersuchen könnte, bräuchte es einen Vergleich der Reallohnentwicklung von AfD-Wählern und -Nichtwählern.

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von langbutter ()

    • langbutter schrieb:

      Ich wollte mit meiner Aussage darauf hinaus, dass die Deutung, dass AfD-Wähler eigentlich die natürliche Zielgruppe der Linken seien und sie entweder nur schlecht informiert sind oder das Angebot von links zu schlecht ist nicht haltbar ist. Die Partei wird durch alle Schichten hindurch gewählt. Dass sie also erfolgreich ist, ist nicht die alleinige Schuld des linken Spektrums. Das Erstarken des Rechtspopulismus ist ja auch ein globaler Trend. Es wäre schon arg komisch wenn in den letzten 20-30 Jahren einfach so zufällig fast alle linken Parteien auf der gesamten Welt spontan versagt hätten.
      Also ich finde das nicht grundsätzlich falsch (und auch fundiert argumentiert) was du sagst, aber wieso diese Ausschließlichkeit?
      es können doch von den beiden Prämissen hier beide zutreffen
      a) AFD-Wähler ist NICHT (bzw. nicht alleine) natürliche Zielgruppe der Linken
      b) AFD-Wähler ist TEILWEISE identisch mit Zielgruppe der Linken ODER unabhängig der Zielgruppen bei entsprechender Ansprache und guten Angeboten trotzdem wegzufischen zu der jeweils anderen Partei.

      Ja, der Rechtspopulismus besteht (auch und gerade) außerhalb von Deutschland. Gerade in der EU. Ich meine, unsere Geschichte und unsere Wertepolitik haben doch schon einen enormen Puffereffekt (auch wenn dadurch die Wokeness vermutlich ebenso erstarkt). Aber in Italien, GB, Frankreich, Skandinavien (Ungarn brauche ich nicht betonen), ist das alles ja nochmal massiver. Ja Linke Parteien sind nicht alle per se Versager.

      Aber es gibt doch garantiert viele sozial Schwache oder Leute mit Abstiegsangst (oder anti-Esablishment-Wahlinteresse) oder gerade auch Leute die sich stark mit "Ostdeutsch-starken Parteien" identifizieren, die durchaus Hufeisen-Style mit der Nähe zwischen Rechten UND Linken rändern liebäugeln, wenn man ihnen Linderung ihrer Situation und Ängste verspricht.

      Also insbesondere wenn wir jetzt konkret über Linkspartei oder gar Wagenknecht-Partei reden, ist doch völlig klar, dass die bei der nächsten Wahl auch zumindest in gewissen Schichten und Milieus auch um die Wähler hart konkurrieren werden.



      langbutter schrieb:

      Das scheint mir keine Studie über AfD-Wähler zu sein. Damit man die These untersuchen könnte, bräuchte es einen Vergleich der Reallohnentwicklung von AfD-Wählern und -Nichtwählern.
      Stimme ich auch nur bedingt zu. Ich kann selber gut verdienen und trotzdem schlecht finden, wenn etwa mein Nachbar, Sohn oder Tochter, bester Kumpel oder sonstwer in der Lohnentwicklung ungerechtfertigt abgehängt wird. Ich kann bundesdeutsche Trends bemerken und darauf basierend stark meine Wahlentscheidung ändern, ohne dass es mich unmittelbar betrifft.
      Die Reallohn-Entwicklung der AFD-Wähler zu untersuchen kann da also sowohl erhellen, wie auch irreführend sein in der Prognose.
      Davon abgesehen sagen jetzige Entwicklungen auch wenig über Ängste aus, da deren Eintreten ja hypothetisch oder zukünftig ist.
      Und Mieten, Strom-, Lebensmittelpreise, Mobilität haben auch alle nix mit der Lohnentwicklung zu tun und belaste sozial Schwächere ja trotzdem massiv. Also bei aller Liebe für deine Forderung nach wissenschaftlicher Evidenz, ich sehe hier nicht, wie einem derart polykausalen und hochkomplexen und in die Zukunft hineinragenden Problem irgendeine verlässliche Datenbasis die Stimmungen bis zur nächsten Wahl covern soll.
    • langbutter schrieb:

      Ich wollte mit meiner Aussage darauf hinaus, dass die Deutung, dass AfD-Wähler eigentlich die natürliche Zielgruppe der Linken seien und sie entweder nur schlecht informiert sind oder das Angebot von links zu schlecht ist nicht haltbar ist. Die Partei wird durch alle Schichten hindurch gewählt. Dass sie also erfolgreich ist, ist nicht die alleinige Schuld des linken Spektrums. Das Erstarken des Rechtspopulismus ist ja auch ein globaler Trend. Es wäre schon arg komisch wenn in den letzten 20-30 Jahren einfach so zufällig fast alle linken Parteien auf der gesamten Welt spontan versagt hätten.
      Der Rechtspopulismus (imo die schlimmste der Wortneuschöpfungen der letzten Jahre) ist aus meiner Sicht die Antwort auf darauf, dass die Mittelschicht jetzt nicht mehr im gleichen Maße von der Globalisierung profitiert wie die letzten 50 Jahre. Dies äußert sich darin, dass die Mittelschicht, die bisher von guten Löhnen und niedrigen Preisen profitiert hat, jetzt vom globalisierten Kapital "fallen gelassen wird", weil in China kann man jetzt auch Auto und Maschinen zusammenschrauben.
      Das Union/AfD für die Mittelschaicht keine gute Politik machen werden ist dabei egal/wird ignoriert, dass "wir sind für den kleinen Mann da" reicht aus.
      Byron - Attributmagier
      Der Korpothread

      Oster schrieb:

      Wenigstens shrodo denkt mit.





      "some games just feel so unthrowable until you suddenly lost"
    • Mir ist es nur ein Anliegen zu betonen, dass die Kausalität eben nicht so einfach ist wie beschrieben. Es liegt kein kollektives Versagen linker Politik vor, welches die Wählerschichten in Richtung AfD bewegt. Die Ursachen dafür sind größer als das. AfD-Wähler werden nicht auf einmal zur SPD wechseln, sobald diese aufhört übers Gendern oder Postkolonialismus nachzudenken. Die zugrundeliegenden Ursachen sind tiefer sitzende Kränkungen, die nur auf Ausweichthemen projiziert werden. Wirtschaftlicher Abstieg kann eine solche Kränkung sein, aber kultureller Bedeutungsverlust oder plötzliche Ohnmachtserfahrungen in Krisenzeiten spielen auch eine Rolle. Und das betrifft nicht nur die Arbeiterklasse, sondern alle möglichen Klassen und Mileus. Es sind ja auch nicht nur Linkspartei- oder SPD-Wähler die zur AfD wandern, sondern Anhänger aller Parteien (über die gesamte Parteigeschichte ist die Union ja glaube ich auch auf Platz 2, hinter den Nichtwählern).

      Die AfD ist ein Auffangbecken für alle, die das Vertrauen in staatliche Institutionen und demokratische Prozesse verloren haben, nicht nur für enttäuschte Linke. Der globale Aufstieg des Rechtspopulismus ist ein Versagen unserer westlichen Gesellschaftsordnung, nicht nur von der linken Seite.
    • shrodo schrieb:

      Der Rechtspopulismus (imo die schlimmste der Wortneuschöpfungen der letzten Jahre)
      der 30er-40er-Jahre /unabhängig vom Begriff)

      shrodo schrieb:

      Dies äußert sich darin, dass die Mittelschicht, die bisher von guten Löhnen und niedrigen Preisen profitiert hat, jetzt vom globalisierten Kapital "fallen gelassen wird", weil in China kann man jetzt auch Auto und Maschinen zusammenschrauben.
      Das globalisierte Kapital ist der rationalste Akteur in dieser ganzen Geschichte. Die gehen einfach amoralisch dahin, wo es lukrative Gewinne für wenig Rechte, Lohnkosten und Steuer gibt. Die lassen so gesehen "niemanden fallen".
      es ist Aufgabe des sozial-marktwirtschaftlichen Staates, dass er einerseits die Gewinner ausreichend abschöpft, andererseits sich durch niedrige, Lohnkosten, Steuern, geringe Bürokratie attraktiv hält. Beide diese Faktoren sind einfach mangelhaft gelöst worden.
      An das Verhalten der Unternehmer zu appelieren auf Wertebasis ist auch okay (Wolfgang Grupp etwa betont ja seit immer, er bleibe auch aus Solidarität und Liebe trotz schlechter Bedingungen am Standort Deutschland) aber darauf werden die wenigsten hören.
      Da ist nur Zuckerbrot und keine Peitsche, bzw. die Peitsche ist einfach unabsichtlich und ungewollt (Überregulation an der falschen Stelle)


      shrodo schrieb:

      Das Union/AfD für die Mittelschaicht keine gute Politik machen werden ist dabei egal/wird ignoriert, dass "wir sind für den kleinen Mann da" reicht aus.
      Union macht mmn durchaus valide Politik für den Mittelstand, wenn auch weniger für Migranten und Schwache. Eine Gleichsetzung mit der AFD teile ich nicht


      langbutter schrieb:

      ber kultureller Bedeutungsverlust oder plötzliche Ohnmachtserfahrungen in Krisenzeiten spielen auch eine Rolle.
      Natürlich, aber wo bleibt darauf die Reaktion? Irgendwelche Gender-Sterne und N-Wort Debatten während du kene Wohnung findest und nix mehr kaufen kannst, wirken dem doch nicht entgegen, sondern verstärken das.


      langbutter schrieb:

      Die AfD ist ein Auffangbecken für alle, die das Vertrauen in staatliche Institutionen und demokratische Prozesse verloren haben, nicht nur für enttäuschte Linke. Der globale Aufstieg des Rechtspopulismus ist ein Versagen unserer westlichen Gesellschaftsordnung, nicht nur von der linken Seite.
      Ich würde dazu gerne auch noch was Entgegensetzen, aber ich fürchte, du liegst da ein bisschen richtig. Aber es ist nichts, worauf man nicht noch reagieren könnte.
    • Ich finde das Programm der SPD ist sehr klar erkennbar strategisch darauf ausgerichtet genau diesen Kränkungserfahrungen entgegenzuwirken, dass die sich nur mit Gendersternchen befassen würden halte ich für schlicht falsch. Die großen Themen der Partei in den letzten paar Jahren waren Respekt, You'll never walk alone (passend zum Memethread) und eine politische Mindestlohnerhöhung. Ich denke die haben schon erkannt woher der Wind weht, es ist nur fraglich ob das alleine ausreicht im Angesicht immer größer werdender Probleme.
    • langbutter schrieb:

      Die AfD ist ein Auffangbecken für alle, die das Vertrauen in staatliche Institutionen und demokratische Prozesse verloren haben, nicht nur für enttäuschte Linke. Der globale Aufstieg des Rechtspopulismus ist ein Versagen unserer westlichen Gesellschaftsordnung, nicht nur von der linken Seite.
      Das Problem ist, dass das eigentliche Auffangbecken für die, die das Vertrauen in staatliche Institutionen und demokratische Prozesse verloren haben, das selbe sein sollte wie für die, die richtigerweise erkannt haben, dass parlamentarische Politik strikt nicht fähig ist die notwendigen Veränderungen zu bewirken, welche die bestehenden Probleme unserer nunmal globalen Gesellschaft tatsächlich lösen und nicht nur aus dem jeweiligen Blickfeld verschwinden lassen könnte: nämlich ein emanzipatorisches, revolutionäres (sprich im weiteren und propagandafreiem Sinne kommunistisches) Lager.
      Leider scheint diese Möglichkeit mit dem kalten Krieg und der in dessen Ausgang zementierten Hegemonie des Neoliberalismus im Westen schlicht ausgelöscht geworden zu sein, sodass man im "linken Lager" bereits mit kleinsten Zugeständnissen in Form von neokolonialistisch finanzierten Sozialstaatsreformen Siege feiern muss, während im "rechten Lager" das landesweite in den Mund legen der medienwirksamsten Strohmänner als Rückkehr zur Demokratie bejubelt wird.
      Der globale Aufstieg des Rechtspopulismus ist das Versagen unserer westlichen Gesellschaftsordnung genau in dem Maße wie es deren Erfolg ist. Solange sich damit zufrieden gegeben wird, dass unsere westliche Demokratie darin besteht, in regelmäßigen Abständen ein Kreuzchen setzen zu dürfen, wer die nächsten Jahre den Lobbyisten die Füße waschen darf, wird sich daran nichts ändern.
    • Ich bin bekanntlich null für Revolution und glaube sehr an den Wert des Kompromiss den unsere Demokratie erfordert, auch wenn das natürlich sehr den Status Quo zementiert und Änderungen nur langsam ermöglicht. Ich habe persönlich auch deshalb keine Lust auf Revolution, weil beispielsweise die französische gezeigt hat was alles passieren kann wenn das gesamte Haus, das die Gesellschaft ist, so grundlegend auf den Kopf gestellt wird dass kein Stein auf dem anderen bleibt und gesellschaftliche Normen von Grund auf neu verhandelt werden müssen. Glaube das Brandschatzen und Köpfeabschlagen bei einer echten Revolution nicht ausgeschlossen ist, und ich bin bereit einen relativ hohen Preis dafür zu zahlen, sowas zu verhindern. Oder wie seht ihr das Thema Revolution, zB etalk?
      Let's Play: CK2, Patrizier 2, Anno 1800
    • elephantTalk schrieb:

      nämlich ein emanzipatorisches, revolutionäres (sprich im weiteren und propagandafreiem Sinne kommunistisches) Lager.
      Warum nicht eine sozialere Marktwirtschaft? Darf ich fragen, warum du ein Modell infrage stellst, dass zumindest in seiner Theorie volkswirtschaftlich unumstrittener Konsens ist?
      Über überbordende Finanzmärkte, die sich von der Realwirtschaft und dem Gemeinwohl wegentwickeln, muss man ja diskutieren, aber Kommunismus ist ein widerlegter Weg, in Theorie und in der Umsetzung sowieso. Das bestreitet letztlich glaube ich niemand.

      elephantTalk schrieb:

      Der globale Aufstieg des Rechtspopulismus ist das Versagen unserer westlichen Gesellschaftsordnung genau in dem Maße wie es deren Erfolg ist.
      Nein. Das Versagen ist einfach ein Versagen. Es ist zumindest keine Kontradiktion zu dem, was richtig läuft. Ansonsten, bitte begründen.

      elephantTalk schrieb:

      Solange sich damit zufrieden gegeben wird, dass unsere westliche Demokratie darin besteht, in regelmäßigen Abständen ein Kreuzchen setzen zu dürfen, wer die nächsten Jahre den Lobbyisten die Füße waschen darf, wird sich daran nichts ändern.
      Es ist eine Schwäche der Demokratie, das Regierungen nur sehr schwach und sehr begrenzt Macht haben und man permanenter Blockade und Widerspruch ausgesetzt ist, auch außerparlamentarisch, sowie begrenzt regiert. Die Alternative siehst du in Russland und China, bedingt Türkei. Da herrscht kein idyllischer Kommunismus in Eintracht und Ruhe.

      Insgesamt bin ich mir auch unsicher ob ich gerade gebaitet werde, bin aber mal so gutwillig, zu glauben, dass du den Quatsch ernst meintest.


      Bighead schrieb:

      Glaube das Brandschatzen und Köpfeabschlagen bei einer echten Revolution nicht ausgeschlossen ist, und ich bin bereit einen relativ hohen Preis dafür zu zahlen
      Vom Preis mal ganz ab, into was denn???? Wenn du argumentierst, der Fehler läge nicht am Handeln innerhalb des Systems und dem einen oder anderen Gesetz oder politischer Konsequenz, sondern am System insgesamt, müsstest du ja eines entwerfen, was besser ist.
    • Bighead schrieb:

      Ich bin bekanntlich null für Revolution und glaube sehr an den Wert des Kompromiss den unsere Demokratie erfordert, auch wenn das natürlich sehr den Status Quo zementiert und Änderungen nur langsam ermöglicht. Ich habe persönlich auch deshalb keine Lust auf Revolution, weil beispielsweise die französische gezeigt hat was alles passieren kann wenn das gesamte Haus, das die Gesellschaft ist, so grundlegend auf den Kopf gestellt wird dass kein Stein auf dem anderen bleibt und gesellschaftliche Normen von Grund auf neu verhandelt werden müssen. Glaube das Brandschatzen und Köpfeabschlagen bei einer echten Revolution nicht ausgeschlossen ist, und ich bin bereit einen relativ hohen Preis dafür zu zahlen, sowas zu verhindern. Oder wie seht ihr das Thema Revolution, zB etalk?
      Einige Punkte, aber kurz und knapp, weil schon spät und das Hamsterrad ruft:
      - Warum gehst du davon aus, dass die post-revolutionäre Demokratie weniger Kompromiss erfordert als unsere jetzige Demokratie? Das Gegenteil wäre der Fall, schon alleine daher, weil die regierende Klasse in unserer jetzigen Demokratie (quasi) ohne Kompromiss davonkommt.
      - Ohne die Französische Revolution gäbe es unsere Demokratie doch gar nicht. Wenn du unsere Demokratie in Schutz nehmen willst, musst du auch die gebrachten Opfer der Französische Revolution akzeptieren. Noch weiter gespannt, müsstest du im selben Zuge auch den damaligen Kolonialismus akzeptieren (und auch den jetztigen Neokolonialismus, der unseren Sozialstaat finanziert). Oder wie denkst du darüber?
      (- Die Französische Revolution hier ist auch kein guter Bezugspunkt, weil eine im Grunde eine idealistische Revolution der Bourgeoisie, die nicht viel mit den Revolutionen der Pariser Kommune und später Russland, China, Kuba, Vietnam etc. oder (wohl am passendsten für deinen Case) Kambodscha zu tun hat. Aber natürlich langes und schwieriges Thema.)
      - Ich habe natürlich auch keine Freude an gewaltsamen Revolutionen, allerdings wird die regierende Klasse ihr Zepter nicht einfach so aus der Hand geben, das ist nunmal die Realität. Leider hat sich auch gezeigt, dass eine "Revolution" auf gewaltfreiem, demokratischem Wege innerhalb der bestehenden globalen Ordnung nicht standhalten kann, da die reaktionären Staatsapparate (insbesondere Militär und Polizei) bestehen bleiben und Revisionismus unausweichlich ist (siehe Allende in Chile, gestern war 50. Jahrestag des Putsches btw).
      - Was mich an dieser ganzen Rhetorik grundsätzlich stört, ist, dass der Status Quo als ausgemachter Naturzustand (Stichwort capitalist realism) keine Rechenschaft schuldig ist. Die tagtäglichen Opfer des Kapitalismus werden abgetan wie herbstzeitlich fallende Blätter: eben wegfegen und gut ist, was soll man machen? Der Preis, den wir global tagtäglich für unsere Demokratie bezahlen, ist mir persönlich zu hoch.
    • elephantTalk schrieb:

      weil die regierende Klasse in unserer jetzigen Demokratie (quasi) ohne Kompromiss davonkommt.
      Welche regierende Klasse? Wen meinst du damit? Regieren tun hier Politiker. Viel Einfluss haben zugegeben reiche Menschen und Unternehmer etc...Die sind aber keine homogene Klasse. Dein Nachbar der Malermeister ist ggf. auch Unternehmer.
      Außerdem hat das Volk ja alle Macht. Die von dir als kritisierte Politik kannst du auch ausstechen über völlig legale Wahlen, wenn du dich mit deinen Ideen wählen lässt. Wozu da Gewalt?
      Eine stratifikatorische Gesellschaft wie im Feudalwesen gibt es eindeutig nicht mehr, weder als Ordnung noch als Praxis. Viele schwerreiche Menschen kommen aus ganz normalen Haushalten (gut viele haben auch nu reich geerbt, ist aber nicht der Punkt. Der Punkt ist, das System ist durchlässig. In ausbaufähiger Weise, aber ja).

      elephantTalk schrieb:

      Warum gehst du davon aus, dass die post-revolutionäre Demokratie weniger Kompromiss erfordert als unsere jetzige Demokratie?
      Ich geh überhaupt gar nicht von post-revolutionärer Demokratie aus...habe sowas nie geschrieben. Ich weiß auch nicht, was das sein soll.
      Hast du nicht gerade eben noch für einen Kommunismus plädiert. Ich kann nicht mehr folgen ehrlich gesagt, also rein vom Verständnis nicht.

      elephantTalk schrieb:

      (und auch den jetztigen Neokolonialismus, der unseren Sozialstaat finanziert). Oder wie denkst du darüber?
      Wie das? Wieso sollte Kolonialismus unseren Sozialstaat finanzieren? Deine Thesen sind sind für mich ohne weiter Ausführung nicht klar.

      elephantTalk schrieb:

      allerdings wird die regierende Klasse ihr Zepter
      Siehe oben? Wer soll das sein? Politiker sind zeitlich und kompetenzlich sehr begrenzt in der Macht und die Wirtschaft ist eine zwar informell einflussreiche (Geld etc...), aber extrem heterogene und in Bezug auf die Staatsorgane ohnmächtige Gruppe.

      elephantTalk schrieb:

      Was mich an dieser ganzen Rhetorik grundsätzlich stört, ist, dass der Status Quo als ausgemachter Naturzustand (Stichwort capitalist realism) keine Rechenschaft schuldig ist.
      Das ist eindeutig falsch und ich vermute (no front), du bist einfach sehr schlecht informiert. Fast jedes Werk zu Politik, Recht, Geschichte oder Wirtschaft leitet die jetzigen Zustände plausibel aus der Vergangenheit her. Es gibt natürlich auch harte Kritik, insbesondere sind postdemokratische Bewegungen und Finanzblasen des Banken-Sektors immer wieder Thema, aber kein Mensch begreift den Status quo als Naturzustand.
      Das hat seit ca, 1500 keiner mehr gemacht, schon Hobbes oder Smith würden das nicht behaupten. Die letzten "Staatsmänner" die einen Naturzustand geclamit haben, waren die aus dem Mittelalter.
      Die Akzeptanz des Systems geschieht auf Basis von sowohl praktischen als auch theoretischen Schwächen, weil es besser ist als vorherige.

      elephantTalk schrieb:

      Die tagtäglichen Opfer des Kapitalismus werden abgetan wie herbstzeitlich fallende Blätter: eben wegfegen und gut ist, was soll man machen?
      Stimmt einfach nicht, kenne weder in der Öffentlichkeit noch im privaten Umfeld Leute, die politische Fehler unkritisch übersehen. Die Politik und Wirtschaft ist doch jeden Tag im Kreuzfeuer. Das der Kapitalismus Opfer hat, bestreite ich nicht, aber Diktaturen und Sowjets hatten mehr. Davon abgesehen musst du auch keinen Systemwechsel haben, um die stärker zu stützen.

      elephantTalk schrieb:

      Der Preis, den wir global tagtäglich für unsere Demokratie bezahlen, ist mir persönlich zu hoch.
      Aber du hast ja offenbar auch keine Alternative? Davon abgesehen ist ja selbst dieser Punkt eher ein Argument bzgl. "wie leben wir" anstatt "wir brauchen ein Neues System"
      Und erzähle das mal all den Leuten in Regimen.

      Vielen Dank für deine Beteiligung, auf weitere Posts würde ich allerdings nur antworten, wenn die irgendwie verständlicher geschrieben und die Argumentation begründet ist. Insgesamt empfehle ich dir mehr Literatur aus VWL, Wirtschaftspsychologie oder Wirtschaftsgeschichte...es gibt auch sehr linke und sehr kritische Positionen, die aber dennoch immer noch sehr weit weg von einer generellen Systemfrage sind.
    • langbutter schrieb:

      Ich wollte mit meiner Aussage darauf hinaus, dass die Deutung, dass AfD-Wähler eigentlich die natürliche Zielgruppe der Linken seien und sie entweder nur schlecht informiert sind oder das Angebot von links zu schlecht ist nicht haltbar ist. Die Partei wird durch alle Schichten hindurch gewählt. Dass sie also erfolgreich ist, ist nicht die alleinige Schuld des linken Spektrums. Das Erstarken des Rechtspopulismus ist ja auch ein globaler Trend. Es wäre schon arg komisch wenn in den letzten 20-30 Jahren einfach so zufällig fast alle linken Parteien auf der gesamten Welt spontan versagt hätten.

      @Ascent Das scheint mir keine Studie über AfD-Wähler zu sein. Damit man die These untersuchen könnte, bräuchte es einen Vergleich der Reallohnentwicklung von AfD-Wählern und -Nichtwählern.
      Gibt es denn Länder in den Industriestaaten wo sie nicht versagt haben?

      Der gemeinsame Faktor auf der ganzen Welt ist die Globalisierung und der Chinaschock und die dahergehende steigende wirtschaftliche Ungleichheit. Die Globalisierung und der Eintritt Chinas in die Weltwirtschaft hat zu einem riesigen Konkurrenzdruck auf dem internationalen Arbeitsmarkt geführt, vor allem im Fertigungssektor. Dieser Anstieg an Handel hat zu einem grossen Anstieg an Reichtum geführt, sowohl in China als auch im Westen. Im Westen waren die Profiteure aber hauptsächlich die Firmeneigentümer, die Arbeiter waren durch outsourcing einfach zu ersetzen, sowie gebildete Arbeitskräfte, vor allem in IT und Finanzbereich. Da hat die Politik versagt. Agenda 2010 war desaströs für die unteren 20%. Die unteren 10% haben soviel verfügbares Einkommen wie 1990. Die oberen 10% haben ihr Einkommen in derselben Zeit um 50% steigern können. Die Pandemie hat da in Deutschland natürlich auch gar nicht geholfen, die Inflation wurde einfach hingenommen und der Reallohnverlust wurde explizit von der Politik erwünscht (man erinnere sich an die "konzertierte Aktion").
      Und das wieder von der SPD!



      Langbutter schrieb:

      Die AfD ist ein Auffangbecken für alle, die das Vertrauen in staatliche Institutionen und demokratische Prozesse verloren haben, nicht nur für enttäuschte Linke. Der globale Aufstieg des Rechtspopulismus ist ein Versagen unserer westlichen Gesellschaftsordnung, nicht nur von der linken Seite.
      Ich kann mir durchaus vorstellen, dass dies durchaus auf die nicht typischen linken Wähler zutrifft. Also auch auf Leute die nicht direkt vom absoluten Reallohnverlust getroffen wurden, aber allgemein Leute die Angst vor relativen Wohlstands- und Statusverlust befürchten. Z.B. wurde Deutschland ja wirtschaftlich in den letzten 10 Jahren deutlich von Amerika abgehängt, während China deutlich aufholt. Siehe folgender Chart:




      Gleichzeitig verkommt die Infrastruktur, Investitionen wurden in den letzten 20 Jahren kaum getätigt. Vor allem Dienste die die Personen täglich benutzen, wie Bus und Bahn werden schlechter. Dabei wars egal ob Rot oder Schwarz an der Macht waren. Denke dieser relative Abstieg gegenüber Ländern wo es gerade besser läuft und auch einfach die Stimmung besser ist, verunsichert echt viele mit Blick auf die Zukunft.

      Ich bin dabei etwas positiver gestimmt, zumindestens was die Investitionen angeht hab ich das Gefühl, dass da langsam was kommt, auch wenn es noch etwas brauchen wird bis die Effekte spürbar sind. Was man so liest bzgl politischer Stimmung in Anblick auf die nächsten Wahlen ist hingegen etwas scary...
    • Kolibri schrieb:

      elephantTalk schrieb:

      weil die regierende Klasse in unserer jetzigen Demokratie (quasi) ohne Kompromiss davonkommt.
      Welche regierende Klasse? Wen meinst du damit? Regieren tun hier Politiker. Viel Einfluss haben zugegeben reiche Menschen und Unternehmer etc...Die sind aber keine homogene Klasse. Dein Nachbar der Malermeister ist ggf. auch Unternehmer.Außerdem hat das Volk ja alle Macht. Die von dir als kritisierte Politik kannst du auch ausstechen über völlig legale Wahlen, wenn du dich mit deinen Ideen wählen lässt. Wozu da Gewalt?
      Eine stratifikatorische Gesellschaft wie im Feudalwesen gibt es eindeutig nicht mehr, weder als Ordnung noch als Praxis. Viele schwerreiche Menschen kommen aus ganz normalen Haushalten (gut viele haben auch nu reich geerbt, ist aber nicht der Punkt. Der Punkt ist, das System ist durchlässig. In ausbaufähiger Weise, aber ja).

      elephantTalk schrieb:

      Warum gehst du davon aus, dass die post-revolutionäre Demokratie weniger Kompromiss erfordert als unsere jetzige Demokratie?
      Ich geh überhaupt gar nicht von post-revolutionärer Demokratie aus...habe sowas nie geschrieben. Ich weiß auch nicht, was das sein soll.Hast du nicht gerade eben noch für einen Kommunismus plädiert. Ich kann nicht mehr folgen ehrlich gesagt, also rein vom Verständnis nicht.
      eTalk hat literally Biggi zitiert und du wirfst ihm hier mit leuchtenden Augen vor, Sachen zu thematisieren, die _du_ ja gar nicht gesagt hättest.

      Lässt schon mal ein bisschen auf die Sorgfalt beim Leseverständnis blicken. ^^

      @mods: auslagern?
      and combined with this image of what we should be doing there comes the inability to read or appreciate anybody who does something entirely different.
      MATLOK siGNAtuRtriGGer
    • Möchte zu dem Thema Revolution noch einwerfen dass mich Disco Elysium mal dafür geroasted hat regelmäßig weder die fascho noch die commie Dialog-Option zu geben, weil sich mit dem Wischi-Waschi niemals etwas ändern würde und ich es mir offenbar sehr bequem im status quo gemacht hätte. gibt ja auch das Achievement "world's most laughable centrist" :love:
      Let's Play: CK2, Patrizier 2, Anno 1800
    • devilchen schrieb:

      Da hat die Politik versagt. Agenda 2010 war desaströs für die unteren 20%
      Ich finde insgesamt deinen Beitrag sehr gut, deshalb ist das hier kein Widerspruch, sondern mehr eine Art Rückfrage, aber:

      Die Agenda 2010 war ein Desaster, aber die Frage ist, ob es alternativlos war. Denn um die Jahrtausendwende, als Schröder an die Macht kam, gab es GIGANTISCHE Probleme mit Arbeitslosigkeit in fast (oder sogar wirklich) zweistelligen Prozenthöhe, ganze Ortschaften sind im Zuge von Strukturwandel, Konkurrenz etc...wie du ja sagst...untergegangen. Und in der Boomer-Generationen gab es nicht Kräftemangel wie heute, sondern Überschuss, qualifizierte Arbeit war so gesehen schon billig, weil man nicht erst 5 weitere Stellen angeguckt hat, wenn das Angebot kam, sondern sofort zugeschlagen hat..
      . Das war bald mehr in den Medien damals als heute der Klimawandel.
      Es gab einen unfassbar riesigen politischen. öffentlichen Druck, dass man massivst reformieren müsse und sich die ganzen Arbeitslosen nicht mehr leisten können und eine völlig neue Arbeitskultur- und Mentalität hermüsse (so Narrative "der is einfach faul" halten sich ja auch bis heute.
      Wie stehst du denn dazu, was hätte Schröder machen sollen? Es ist viel falsch gelaufen, aber es ist quasi nicht beantwortbar und unwahrscheinlich, das nichts tun oder weniger harte Reformen die Lage geändert hätten.

      devilchen schrieb:

      Die unteren 10% haben soviel verfügbares Einkommen wie 1990. Die oberen 10% haben ihr Einkommen in derselben Zeit um 50% steigern können
      Aber wie kann man das lösen? Das was die Linken dazu üblicherweise fordern (Löhne rauf, Steuern + Umverteilen, überbordenden Regulation) löst das Problem erstens nicht, sorgt zweitens für sinkende Standortattraktivität und Kapitalflucht und im dritten Fall muss sich der Malermeister mit 75 Anträgen mehr herumschlagen und Amazon zahlt trotzdem einen Penny.

      devilchen schrieb:

      Gleichzeitig verkommt die Infrastruktur, Investitionen wurden in den letzten 20 Jahren kaum getätigt. Vor allem Dienste die die Personen täglich benutzen, wie Bus und Bahn werden schlechter
      -Das Problem ist allerdings nicht nur politisch. Also im Falle etwa der deutschen Bahn, liegt eindeutig dort die Inkompetenz und nicht im Bundestag.
      Davon abgesehen steht das ja auch im Widerspruch zu deiner Kritik an sozialen Einschnitten. Welches Geld willst du denn ausgeben?
      Und wo man den Rechtspopulisten auch Zugeständnisse machen muss, extrem viel Geld fließt für Flüchtlinge und Integration ab.


      Z.t. sind die Probleme auch rechtlicher Art. Dänische Verkehrsprojekte sind immer 5x schneller und günstiger als hier, weil nicht jeder NaBU-Regionalverband 38x über 15 Jahre dagegen klagen kann, bevor dann doch gebaut wird, sondern die Verfahren einfach zügiger laufen und dann, wenn einmal beschlossen ist, wird nicht von 20 Akteuren verhindert, sondern von einem gemacht.


      devilchen schrieb:

      denke dieser relative Abstieg gegenüber Ländern wo es gerade besser läuft und auch einfach die Stimmung besser ist,
      Da sind einfach gewisse Dinge bezahlbarere...


      devilchen schrieb:

      Was man so liest bzgl politischer Stimmung in Anblick auf die nächsten Wahlen ist hingegen etwas scary...
      In Deutschland ist es doch aber noch rosig, guck mal nach Ungarn, Polen, Italien, Frankreich (literally riot), Großbritannien im Brexit, Skandinavien war schon immer mehr (und gesünder) rechts, aber dass das nochmal kippt scheint auch plausibel.
      Aber die Regierung ignoriert halt auch die Zuwanderungsfrage und die Mobilitätsfragen auf dem Dorf und in Ostdeutschland
      und - hier schließt sich dann jetzt auch der Kreis zur Wokeness - beschäftigt sich mit theoretisch-ideologischen Eliten und moralischen, bürgerlichen Werthaltungen, statt auch zuzugestehen, dass Bezahlbarkeit von Strom, Auto, Wohnsubstanz für viele Menschen völlig überraschend auch einen hohen Wert hat.
    • Ascent schrieb:

      Der Staat schöpft einfach neues Geld so wie die anderen G7 Staaten
      Solchen simplen Grafiken würde ich nicht trauen:

      -Neben den offiziellen Schulden hat Deutschland auch welche in ausgelagerten Sondervermögen (etwa 100 Milliarden für die Bundeswehr/Corona-Hilfen).

      -Wenn andere Länder ihre Schulden an kommende Generationen ausgliedern, ist das nicht zwingend richtig. Kommende Generationen in Deutschland werden voraussichtlich nicht im Überschwang leben, sondern ohnehin Probleme haben.
      Schulden kann man auch lesen als geringer Steuer der Gegenwart/für Alte und höhere Steuer der Zukunft/für Junge.
      Auch wenn ich den Investitionsbedarf genauso sehe, finde ich es richtig, dass der deutsche Staat seine kommende Generationen hier stärker schützt.
      Frankreich etwa hat jetzt gewaltige soziale Verwerfungen am Hals, weil sie das Renteneintrittsalter erhöhen mussten.
    • @devilchen Das wollte ich so auch ungefähr ausdrücken. Die tieferliegende Ursache für die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen sehe ich auch in der Globalisierung. Die Arbeiterklasse in westlichen Industrienationen konkurriert auf einmal mit anderen Menschen auf der ganzen Welt und muss ohnmächtig dabei zusehen, wie sie immer weiter wirtschaftlich absteigt.

      Es ist aber eben nicht nur der wirtschaftliche Abstieg des Proletariats, auch durchaus wirtschaftlich erfolgreiche Menschen haben durch globale Krisen einen plötzlichen Wohlstandsverlust erlitten und dadurch das Vertrauen in den Staat verloren. Wer staatliche Kontrolle sein ganzes Leben lang nur aus dem Straßenverkehr kennt, der wird es als sehr demütigend wahrnehmen wenn er auf einmal als Bittsteller zu einer Behörde geht und dort am eigenen Leib erleben muss, wie wir als Gesellschaft mit der Unterschicht umgehen. Es ist kein Zufall, dass gerade durch Corona sehr viele Selbstständige auf einmal zu Anhängern von Verschwörungsmythen wurden und sich gegen "die da oben" radikalisiert haben.

      Auch Teile der intellektuellen Schichten wurden in den letzten Jahrzehnten durch das aufkommen des Informationszeitalterns durcheinandergebracht und mussten ohnmächtig mitansehen, wie andere Menschen auf einmal eine Stimme bekommen und ihre eigenen Meinungen an Bedeutung verlieren. Diese Strategie der Opferumkehr die man kürzlich auch bei Aiwanger oder Rubiales gesehen hat verfängt deshalb so sehr, weil viele Menschen das genau so an sich selbst wahrnehmen. Das was vor 20 Jahren noch mehrheitsfähige Meinungen waren, ist heute nicht mehr salonfähig. Und zwar nicht weil die Menschen sich von sich aus verändert haben, sondern weil auf einmal die Meinung anderer Menschen an Bedeutung gewinnt, von denen man früher gar nichts mitbekommen hat.

      Ich wollte also nicht sagen, dass linke Parteien in der Vergangenheit keine Fehler gemacht haben. Das haben sie mit Sicherheit. Ich sehe darin nur nicht die Ursache für rechtspopulisitsche Bewegungen, sondern glaube beides hat in der Globalisierung eine gemeinsame Ursache. In einer wirtschaftlich und gesellschaftlich globalisierten Welt können Nationalstaaten gar nicht anders als versagen. Individuelle Kränkungen haben heutzutage immer häufiger globale Ursachen und erzeugen deshalb ein um so größeres Gefühl von Ohnmacht und einen um so größeren Vertrauensverlust in den Staat. Die Ursache für globale gesellschaftliche Trends im Wahlprogramm der SPD oder der Linkspartei zu suchen ist finde ich einfach der falsche Ansatz.

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    • Kolibri schrieb:

      devilchen schrieb:

      Da hat die Politik versagt. Agenda 2010 war desaströs für die unteren 20%
      Ich finde insgesamt deinen Beitrag sehr gut, deshalb ist das hier kein Widerspruch, sondern mehr eine Art Rückfrage, aber:
      Die Agenda 2010 war ein Desaster, aber die Frage ist, ob es alternativlos war. Denn um die Jahrtausendwende, als Schröder an die Macht kam, gab es GIGANTISCHE Probleme mit Arbeitslosigkeit in fast (oder sogar wirklich) zweistelligen Prozenthöhe, ganze Ortschaften sind im Zuge von Strukturwandel, Konkurrenz etc...wie du ja sagst...untergegangen. Und in der Boomer-Generationen gab es nicht Kräftemangel wie heute, sondern Überschuss, qualifizierte Arbeit war so gesehen schon billig, weil man nicht erst 5 weitere Stellen angeguckt hat, wenn das Angebot kam, sondern sofort zugeschlagen hat..
      . Das war bald mehr in den Medien damals als heute der Klimawandel.
      Es gab einen unfassbar riesigen politischen. öffentlichen Druck, dass man massivst reformieren müsse und sich die ganzen Arbeitslosen nicht mehr leisten können und eine völlig neue Arbeitskultur- und Mentalität hermüsse (so Narrative "der is einfach faul" halten sich ja auch bis heute.
      Wie stehst du denn dazu, was hätte Schröder machen sollen? Es ist viel falsch gelaufen, aber es ist quasi nicht beantwortbar und unwahrscheinlich, das nichts tun oder weniger harte Reformen die Lage geändert hätten.
      Direkt einen Mindestlohn miteinführen. Leute faktisch in Arbeitsverhältnisse zwingen (weil sonst das geld gestrichen wird) ohne gleichzeitig dafür zu sorgen, dass diese Arbeitsverhältnisse nicht zu einem "zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel" mutieren, ist halt nicht richtig. Die Union hätte die nächsten 16 Jahre entgegensteuern können, aber wozu? Denen ist das ja gut reingegangen.

      Kolibri schrieb:

      devilchen schrieb:

      Die unteren 10% haben soviel verfügbares Einkommen wie 1990. Die oberen 10% haben ihr Einkommen in derselben Zeit um 50% steigern können
      Aber wie kann man das lösen? Das was die Linken dazu üblicherweise fordern (Löhne rauf, Steuern + Umverteilen, überbordenden Regulation) löst das Problem erstens nicht, sorgt zweitens für sinkende Standortattraktivität und Kapitalflucht und im dritten Fall muss sich der Malermeister mit 75 Anträgen mehr herumschlagen und Amazon zahlt trotzdem einen Penny.
      Umsatz, nicht Gewinn besteuern wäre eine Idee.

      Kolibri schrieb:

      devilchen schrieb:

      Gleichzeitig verkommt die Infrastruktur, Investitionen wurden in den letzten 20 Jahren kaum getätigt. Vor allem Dienste die die Personen täglich benutzen, wie Bus und Bahn werden schlechter
      -Das Problem ist allerdings nicht nur politisch. Also im Falle etwa der deutschen Bahn, liegt eindeutig dort die Inkompetenz und nicht im Bundestag.Davon abgesehen steht das ja auch im Widerspruch zu deiner Kritik an sozialen Einschnitten. Welches Geld willst du denn ausgeben?
      Und wo man den Rechtspopulisten auch Zugeständnisse machen muss, extrem viel Geld fließt für Flüchtlinge und Integration ab.

      Z.t. sind die Probleme auch rechtlicher Art. Dänische Verkehrsprojekte sind immer 5x schneller und günstiger als hier, weil nicht jeder NaBU-Regionalverband 38x über 15 Jahre dagegen klagen kann, bevor dann doch gebaut wird, sondern die Verfahren einfach zügiger laufen und dann, wenn einmal beschlossen ist, wird nicht von 20 Akteuren verhindert, sondern von einem gemacht.
      Im Bahnvorstand sitzen lauter Alt-Politikerwurden ja auch die ganzen gescheiterten Unions-Politiker geparkt...
      Geld ist nicht das Problem, notfalls macht man ein paar Steuerschlupflöcher (z.B. die Steuererklärung) zu.
      Byron - Attributmagier
      Der Korpothread

      Oster schrieb:

      Wenigstens shrodo denkt mit.





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